Interview mit Marlene Schittenhelm über ihren Film „Eine Welt ohne Musik“
Marlene Schittenhelm ist 23 Jahre alt und studiert Musikerziehung am Institut für Musik, kurz IfM, in Osnabrück.
Im letzten Jahr des Studiums werden die StudentInnen vor die Aufgabe gestellt, ein musikpädagogisches Projekt auf die Beine zu stellen. Marlene Schittenhelm entschied sich, einen Kurzfilm zu machen, der ein finsteres Szenario aufzeigt – eine Welt ohne Musik. Schittenhelm thematisiert darin die Bedeutung der Musikpädagogik und deren Wert für die Gesellschaft.
Ausschlaggebend für den Film waren ihre Erfahrungen als Musikpädagogik- Studentin und Honorarkraft an einer Musikschule. In ihrem Brief an musikschule intern schreibt sie:„Die Medien stellen nahezu täglich die Bedeutung einer musikalischen Erziehung für die geistige und soziale Entwicklung von Menschen, insbesondere Kindern und Jugendlichen, heraus. Die Wertschätzung der Arbeit von Musikpädagogen und -pädagoginnen steht dazu in krassem Kontrast. Diese Diskrepanz von Theorie und Praxis erlebe ich selbst: Auf der einen Seite ist die Musikpädagogik ein wesentlicher Bestandteil meines Studiums, auf der anderen Seite fühle ich meine Arbeit als Gesanglehrerin an einer Musikschule wenig wertgeschätzt. Dieses Missverhältnis ärgert mich.“
Daraufhin führten wir dieses Interview mit Frau Schittenhelm:
msi: Warum haben Sie den musikpädagogischen Studiengang gewählt?
Marlene Schittenhelm: Wenn ich auf meine Kindheit und Jugend zurückblicke, so stelle ich fest, dass meine Musiklehrerinnen und -lehrer mich immens geprägt haben. Sie haben mich nicht nur musikalisch gefördert und gefordert, sondern mein Aufwachsen begleitet. Im Nachhinein ist die rein musikalische Arbeit nur ein Bruchteil von dem, was ich von ihnen lernen und mitnehmen konnte. Aber auch diese Arbeit hat mich so mit Freude erfüllt, dass ich den gleichen Weg gehen wollte, den sie mir vorgelebt haben. Romantisch ausgedrückt: Meine Musiklehrer/-innen haben mein Leben verändert. Und ich denke, dass das nicht nur mir so geht. Musikpädagogen und – Pädagoginnen können einen sehr großen positiven Einfluss auf ihre Schüler ausüben und genau das ist auch mein Anspruch und Ziel beim Unterrichten.
Welche Vorstellung hatten Sie zu Beginn von Ihrem zukünftigen Beruf?
Meine Vorstellung hat sich eigentlich bewahrheitet, auch wenn sie zu Beginn meines Studiums noch nicht so konkret war. Ich hatte einen ungefähren Eindruck vom Stellenwert der Musikpädagogen und – pädagoginnen in der Gesellschaft. Im Laufe meines Studiums – und mit allen Zahlen und Fakten über dieses Berufsbild, die man dort lehrt – wurde mir die Situation immer bewusster. Das Wissen, was Musiklehrer/-innen eigentlich bewirken können, stand für mich von Beginn meines Musikstudiums an in einer großen Diskrepanz zu den düsteren Zukunftsvisionen, die ab Tag eins Tag für Tag an uns herangetragen wurden. Auch von den Mitstudenten gab es oft ironische oder abwertende Bemerkungen zum Berufs des Musikpädagogen. Jedesmal ging mir der Gedanke durch den Kopf: Wieso studiert man etwas, das man selbst nicht ernst nimmt?
Sie beschreiben, dass Ihnen aufgrund von Praxiserfahrungen – Sie unterrichten bereits an einer Musikschule Gesang – schlechte Arbeitsbedingungen auffallen. Welche sind das konkret?
Für mich ganz persönlich sind die Arbeitsbedingungen im Moment in Ordnung. Ich studiere noch, muss keine Familie ernähren, brauche nicht viel. Wenn ich aber daran denke, dass ich irgendwann einmal Kinder habe und Verantwortung für andere Menschen tragen muss, wird mir schon Angst und Bange. Für Musikpädagogen und Pädagoginnen gibt es kaum Festanstellungen. Sie werden auf Honorarbasis gehalten. Sie sind jederzeit kündbar. Außerdem sind sie im Krankheitsfall nicht abgesichert. Was passiert, wenn ein/e SchlagzeugerlehrerIn plötzlich ein Bein verliert? Was passiert, wenn ein/e Sänger/in keine Stimme mehr hat? Ich respektiere meine Arbeitgeber natürlich, aber das ist ein Problem, das dringend behoben werden muss. Eine Form von Sicherheit ist meiner Meinung nach ein menschliches Grundbedürfnis.
Wie erleben Sie Ihre Arbeit als Gesangspädagogin?
Zu unterrichten bereitet mir große Freude. Ich weiß, dass es nicht alle Studierenden des musikpädagogischen Zweigs so geht, aber ich habe das Glück, dass meine Schülerinnen und Schüler ausnahmslos motiviert sind und Spaß am Unterricht haben. Das kann natürlich anders aussehen, wenn man 5-jährige Kinder zum Flöten- oder Klavierunterricht schickt, die eigentlich in der Zeit lieber Fußball spielen möchten. Meine Schüler/innen sind tendenziell eher älter, die meisten zwischen 14 und 20. Es ist ihre freie Entscheidung, zum Gesangsunterricht zu kommen. Die meisten müssen sogar zu Hause erst einmal die Eltern davon überzeugen, dass Gesangsunterricht sinnvoll ist und sie das wirklich wollen. Mein Ziel ist es nicht, aus den Schülerinnen und Schülern Popstars zu machen, es sei denn, es ist das größte Ziel des Schülers oder der Schülerin. Ich möchte ihnen etwas beibringen über Musik, über die eigene Stimme, aber auch über sie selbst. Vor allem im Jugendalter kann das Leben manchmal ziemlich verwirrend sein und man fühlt sich oft nicht zugehörig. Das erlebe ich auch bei meinen Schüler/innen. Ich möchte sie dazu befähigen, ihre Stimme als Ausdrucksmittel zu erleben, mit dem sie etwas von sich mitteilen können. Ich möchte, dass sie sich bei mir im Unterricht auch fallen lassen können und einfach mal eine Pause vom Alltag haben. Sie sollen ermutigt aus meinem Unterricht gehen und das Gefühl haben, etwas über die Musik und sich selbst gelernt zu haben. Wenn ich das schaffe, bin ich zufrieden.
Sind zukünftige Arbeitsbedingungen Thema im Studium?
Ja, die Arbeitsbedingungen sind sehr oft Thema im Studium. Allerdings fehlte mir oft zwischen all den Fakten und all den düsteren Zukunftsvisionen ein Hoffnungsschimmer. Plakativ gesagt: Ich hätte mir gewünscht, dass die Dozenten und Dozentinnen in ihrem Unterricht auch thematisiert hätten, wie man die Bedingungen verändern kann! Was wir tun können oder sogar müssen, damit wir in der Gesellschaft einen höheren Stellenwert erlangen. Es ist mehr als deprimierend, einfach vorgetragen zu bekommen: So schlimm sieht deine Zukunft aus und mit diesem Studiengang hast du dich nun dafür entschieden, also musst du das auch akzeptieren. Besser wäre: So schlimm sieht deine Zukunft aus, aber hier gebe ich dir Ratschläge und Tipps, wie du etwas daran ändern kannst. Lasst uns eine Revolution starten! Das wäre doch super, dann fühlt man sich nicht so hilflos.
Was ist Ziel Ihres Films?
Ich bin weder eine ausgebildete Regisseurin, noch eine ausgebildete Drehbuchschreiberin oder gar Filmemacherin. Aber ich möchte, dass der Film die Menschen zum Nachdenken anregt. Dass er irgendetwas in ihnen bewegt. Ich möchte, dass die Thematik deutlich wird. Der Film ist überzeichnet und er ist fiktiv – aber trotzdem trägt er viel Wahres in sich.
Ziehen Sie Schlussfolgerungen aus Ihren Erfahrungen als Pädagogin und Pädagogik-Studentin in Bezug auf Ihren Berufswunsch?
Nein. Der Beruf der Musikpädagogin wird mir immer wichtig sein. Ich habe zwar auch mein eigenes Bandprojekt, das für mich sehr wichtig ist, und kann mir außerdem meinen beruflichen Werdegang auch als Teilzeitmoderatorin beim Radio sehr gut vorstellen, aber die Musikpädagogik wird mir immer am Herzen liegen und einen Teil meines Jobs ausmachen und daran ändert keine noch so düstere Zukunftsvision etwas.
Sie sagen, Sie möchten bestenfalls mit Ihrem Film Änderungen der aktuellen Verhältnisse anregen. Haben Sie konkrete Vorschläge und Vorstellungen, was sich ändern muss?
Ich denke, zuerst muss ein Umdenken in den Köpfen der Menschen stattfinden. Nicht nur in den Köpfen derer, die die Regeln aufstellen, Geldgeber sind, sondern auch und gerade in den Köpfen der Musikpädagogen und -pädagoginnen selbst. Die Musikpädagogik nicht mehr zu belächeln, sondern stolz auf die eigene Arbeit zu sein. Mit Hingabe unterrichten, in dem Wissen, dass das, was man tut, sehr sinnvoll ist. Aber gleichzeitig auch fordern: mehr Festanstellungen, weniger Arbeitskräfte auf Honorarbasis, Absicherung im Krankheitsfall! Niemand sollte immer wieder, Jahr für Jahr, aufs Neue bangen müssen, ob der Job, der den eigenen Lebensunterhalt oder sogar den Lebensunterhalt einer ganzen Familie finanziert, plötzlich einfach weg sein könnte.
Wir bedanken uns für das Gespräch.
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