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Wir haben recherchiert: Was war da los in St. Ingbert? Warum konnte diese unglückselige Geschichte mit der örtlichen Musikschule überhaupt passieren? Und wer ist eigentlich schuld? msi-Autor Rolf Sterzinger hat sich auf die Suche gemacht und mit den Beteiligten gesprochen – und gleichermaßen erstaunliche wie erschreckende Tatsachen entdeckt.

St. Ingbert liegt im Saarland und hat gut 36.000 Einwohner – nach der Bevölkerungszahl gerechnet rangiert die Stadt damit laut Statistischem Bundesamt auf Rangplatz 310 der Städte in der Bundesrepublik. Und St. Ingbert hat eine Musikschule. Nun muss man St. Ingbert nicht unbedingt kennen – das Land ist groß. Aber dass es die Musikschule gibt, das weiß zumindest seit kurzem die ganze Branche.

Ein Shitstorm, ein Shitstorm

Seit nicht ganz drei Jahren hat die Musikschule der Stadt einen eigenen facebook-Auftritt, und in dieser Zeit hatte sie gerade einmal drei Bewertungen bekommen – immerhin, alle mit der Bestnote von fünf Sternen. Ab dem 31. August war alles anders. Zu den drei schönen 5-Sterne-Bewertungen sind binnen weniger Tage 95 „hässliche“ mit jeweils nur einem Stern dazugekommen. Die durchschnittliche Bewertung ist auf der Skala von 1 bis 5 auf 1,1 abgestürzt – Höchststrafe, könnte man sagen. Und manchen Nutzern der Seite ist auch das noch zu viel: „Was bei den Sternen fehlt: die Null“, oder: „Das ist ein Minus-Stern“, getoppt durch „Wenn es möglich wäre, gäbe ich dafür eine minus 5“.

https://www.facebook.com/pg/musikschulesanktingbert/reviews/

Die miserablen Bewertungen werden mit vernichtenden Kommentaren angereichert, ein Sturm der Entrüstung, auf Neudeutsch: ein klassischer Shitstorm. Zwischen aufgebracht und süffisant, empört und entsetzt die Reaktionen. „Boykottieren!“, empfiehlt ein Beitrag, massenhaft fallen Begriffe wie „unverschämt“, „unglaublich“, „unfassbar“, „beleidigend“, „bodenlos“, „eine Schande“.

Was ist eigentlich passiert, und warum? – Eine kleine Chronologie

Am Mittwoch, 30. August, veröffentlicht die Stadt St. Ingbert eine Stellenausschreibung über facebook. Die Musikschule der Stadt sucht einen neuen Leiter.

Wie üblich wird die Stelle detailliert beschrieben – einem Anforderungsprofil („Das Aufgabengebiet umfasst insbesondere folgende Tätigkeiten“) stehen die gebotenen Leistungen gegenüber.

https://de-de.facebook.com/musikschulesanktingbert/posts/1963997670552730

Bei der Auflistung der notwendigen bzw. gewünschten Qualifikationen hat die Stadt ganze Arbeit geleistet. Kandidaten sollen ein musikpädagogisches Studium abgeschlossen haben oder alternativ zu einer künstlerischen Qualifikation einen Weiterbildungsnachweis zur Führung einer Musikschule erbringen, was aber noch nicht ausreicht, denn „Erfahrung im Bereich der Musikschulleitung“ muss bereits vorhanden sein. Die gewünschte „innovative Führungspersönlichkeit“ ist fit in Neuen Medien und Betriebswirtschaft und verfügt über alle nur denkbaren sozialen und organisatorischen Kompetenzen, die in schöner Breite und „Personaler-Jargon“ aufgezählt werden.

Im Angebot steht dagegen nur der dürre Satz: „Wir bieten ein interessantes Ehrenamt in einem innovativen Team, das sich in erster Linie als Dienstleister versteht.“ Dafür gibt es dann 960 Euro monatliche Aufwandsentschädigung.

So weit, so… schlecht. Denn einen Tag später bricht der Shitstorm los und braust auf der facebook-Seite der Musikschule über die Verantwortlichen hinweg.

Es hat allemal Unterhaltungswert, das zu lesen, allerdings muss man Zeit mitbringen, denn inzwischen sind es bald 500 Kommentare zur Sache. Der Tenor ist eindeutig – hier ein kleiner Auszug ironischerer Bemerkungen:

Was für eine schöne Stadt! Da gibt es ehrenamtliche geführte Musikschule, sicherlich auch ehrenamtliche Bäckermeister und ehrenamtliche Klempner. Selbst die Polizei besteht aus ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen! – Ach, den Herrn Bürgermeister habe ich ganz vergessen. Natürlich arbeitet der auch für ‘ne Aufwandsentschädigung und geht, wie alle ernst zu nehmenden Politiker, mit gutem Bleistift voran!

“St. Ingbert ist Bildungsstadt. Die Musikschule ist hierzu ein wichtiger Mosaikstein. Sie führt zielgerichtet zu musischer Bildung.” – Aber kosten darf es nichts?

Glauben Sie allen Ernstes, dass wir einen Hochschulabschluss machen, um dann für einen Hilfsarbeiterlohn für Sie zu arbeiten? Viel Erfolg bei der Suche.

Dachte zunächst, dass es sich dabei nur um eine besonders “scharfe” Satire handeln könne. […]

Habe Ihre Stellenanzeige gelesen. Eine Frage: Sind Sie völlig jeck?

Dieser Stellenausschreiber sollte ernsthaft überlegen höchst persönlich ehrenamtlich zu arbeiten. Der Bürgermeister als Ehrenamt. Superidee finde ich…

Viel erwartet, wenig geboten, fehlt doch eigentlich nur noch eins: “Wir können leider nichts zahlen, bieten Ihnen aber die Chance, sich in unserem Unternehmen prestigeträchtig zu präsentieren”. Klassiker

Derjenige, der diese Ausschreibung zu verantworten hat, sollte auf der Stelle ins Nirvana befördert werden.

Meine Familie sucht zum 1.10.17 eine EHRENAMTLICHE HAUSHÄLTERIN. Wir sind ein sehr geselliger 10-Personen-Haushalt mit Haus und großem Garten. […]

Vielleicht übt der Bürgermeister ja seinen Job auch ehrenamtlich für eine Aufwandsentschädigung von 960 € aus. Allerdings braucht so jemand keine Berufsausbildung.

Wenn Land, Städte und Gemeinden für Kunst und Kultur nicht bereit sind Geld auszugeben, dann weiß man welchen Stellenwert die Künste haben! Für lau kriegst Du in dieser Welt nicht mal eine Scheibe Toast… Und angesichts solcher “Personalsuchen” kriegt damit der Begriff “BROTLOSE KUNST” eine ganz andere Dimension!!!

Unter dem Eindruck des deutschen Bombardements von London sei Premierminister Winston Churchill bestürmt worden, das Kulturbudget zu kürzen und mehr Geld für Rüstung aufzuwenden. Churchill habe das Ansinnen verworfen mit dem Argument: „Wofür führen wir denn diesen Krieg, wenn nicht für die Kultur?“

Es überwiegt jedoch die unverblümte Empörung über das Ansinnen der Stadt, eine hoch qualifizierte Tätigkeit wie die Leitung einer Musikschule ehrenamtlich und gegen Aufwandsentschädigung zu vergeben. Auch hier einige Ausschnitte aus einer Vielzahl besorgter und ernsthafter Kommentare:

Abgesehen von den umfangreichen Aufgaben, die ihr voraussetzt, ist es doch mehr als absurd für ein Ehrenamt (!) ein jahrelanges Hochschulstudium, betriebswirtschaftliche Kenntnisse und eine weitere Fortbildung vorauszusetzen. Was ihr sucht ist niemand für ein Ehrenamt sondern mindestens für ein Nebenamt, eher ein Hauptamt. Und ein solches sollte und muss auch entsprechend vergütet werden.

An der Musikschule St. Ingbert werden laut Ausschreibungstext 360 Jahreswochenstunden unterrichtet. Nach der Entgeltordnung des hier geltenden Tarifvertrages bedeutet das die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 10. Die Stadtverwaltung St. Ingbert bietet einer qualifizierten und kompetenten Führungsperson dagegen ein Ehrenamt (!) an, das in seinem arbeitszeitlichen Umfang nicht beschrieben wird. Anstatt – wie es sich gehört – eines TVöD-Arbeitsvertrages wird eine läppische Aufwandsentschädigung angeboten.

Ich leite eine Musikschule in ähnlicher Größe. Es ist lächerlich und beleidigend dass Sie eine Stelle im Ehrenamt ausschreiben! […] Ansonsten rate ich den Lehrkräften (und im Übrigen auch Ihrem zukünftigen Musikschulleiter) ein Clearing-Verfahren bei der Deutschen Rentenversicherung zu beantragen. Da Ihre Lehrkräfte auf Grund Ihrer Schulordnung unterrichten, bin ich sehr gespannt, was die DRV zum „Beschäftigungsverhältnis“ des MS-Leiters sagt…

Die skandalöse Ausschreibung der Musikschulleitung als Ehrenamt wurde heute während des nationalen AIBM-Kongresses der Musikbibliotheken in Münster diskutiert und entsprechend kommentiert: Damit hat sich die Stadtverwaltung in St. Ingbert überregional blamiert… Hoffentlich ändert sich dort endlich etwas!

In St. Ingbert wird der Unmut wahrgenommen, eine beschwichtigende Erläuterung wird nachgeschoben. Es handle sich nicht um eine Vollzeitstelle, der Aufwand erfordere nur ein geringes Stundenkontingent im Monat, vollzeitbeschäftigte Kräfte erledigten die Verwaltungsarbeiten. Und: „In den vergangenen 40 Jahren wurde es von den bisherigen Leitern auch lediglich als Nebentätigkeit zu einem Hauptberuf ausgeübt.“

Das aber zieht nur neue Kritik nach sich. Die Schüler- (600) und Wochenstundenzahl (360) werden mit der Einwohnerzahl (36.000) ins Verhältnis gesetzt – das sei lächerlich wenig – und gipfelt in der Mutmaßung, da sei anscheinend in der Vergangenheit schlechte Arbeit gemacht worden.

Die Verursacher

Peter Gaschott, Leiter „Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation“ der Stadt, war zum Zeitpunkt von online-Stellenanzeige und Shitstorm im Urlaub Er kommt am Ende der Woche nach Hause zurück, guckt ins Netz, sieht die Kalamität. „Die Formulierung der Ausschreibung ist eine Katastrophe, fachlich nicht gerechtfertigt, und die Reaktion, die wir bekommen haben, ist absolut verdient.“

In der am Montag folgenden internen Manöverkritik sind sich alle einig, dass die Sache „an den Baum gefahren wurde“. Der Saarländische Rundfunk und die Saarbrücker Zeitung hatten das Thema aufgegriffen, weiterer Imageschaden drohte.

Folgerichtig zieht die Stadt die Ausschreibung noch am selben Tag zurück. Man werde in den kommenden Wochen in den zuständigen kommunalen Gremien eine tragfähige Lösung suchen. Der Ausschreibungstext könnte missverstanden werden, spiegele allerdings „das Verfahren wider, das von rund einem Drittel der saarländischen Gemeinden mit kommunaler Musikschule praktiziert wird.“ Für die Kritiker macht das die Sache aber nicht gerade besser:

Also liebe Leute, die Ausschreibung ist völlig zu Recht kritisiert worden. Aber Eure Rechtfertigung, dass es sich um ein “Missverständnis” handelt ist schon sehr zweifelhaft. […] Ich denke, und da bin ich hier sicher nicht alleine, dass es sich hier weniger um ein “Missverständnis” handelt sondern mehr um Kalkül in der Hoffnung, dass sich schon jemand melden wird dem es eine Ehre ist diese Tätigkeit ausüben zu dürfen.

Tatsächlich hatten sich in den fünf Tagen zwischen Veröffentlichung und Zurückziehen der Stellenausschreibung schon einige wenige Kandidaten beworben.

Der parteilose Oberbürgermeister Hans Wagner erklärt, dass nicht falsch sein könne, was jahrzehntelang funktioniert habe. Pressesprecher Gaschott weiß, dass es noch nie eine Ausschreibung der Stelle des Musikschulenleiters gegeben hat, weil die Position seit Gründung der Musikschule im Jahr 1972 immer aus den eigenen Reihen ehrenamtlich besetzt worden sei.

In den letzten gut dreieinhalb Jahren wurde die Schule von gleich drei Musiklehrern auf ehrenamtlicher Grundlage geleitet, diese hätten sich aber untereinander völlig zerstritten. Der Pressesprecher diplomatisch: „Es gab Grund für diese Neuausschreibung.“ Den Arbeitsaufwand taxiert er auf zwei bis acht Stunden in der Woche, je nach anstehenden Aufgaben und Projekten sowie dem Engagement des Stelleninhabers.

Zwei Dinge sind ihm noch wichtig zu sagen: Zum einen zeigt er Verständnis für die gewaltige Reaktion der Musiker. Gaschott hat früher einmal einen Kleinkunstkeller betrieben. „Die Leistung der Künstler ist ein hohes Gut, und ich habe immer Wert darauf gelegt, dass die Musiker vernünftig bezahlt werden.“

Zudem tut ihm die Musikschule leid, die jetzt die miserablen Bewertungen im Netz abbekommt, nur, weil die Ausschreibung der Stadt auf deren Seite erfolgt sei. Das sei nicht der Fehler der Musikschule. „Dort liegen aber die Nerven blank. Lehrer und Schüler sind so verunsichert und eingeschüchtert, dass sich keiner öffentlich zu Wort meldet.“

In der Verwaltung der Musikschule arbeitet Marion Reichrath auf einer vollen, festen Stelle. Die Rückmeldungen, die sie dort erreicht haben, waren minimal: Zwei sachliche Anrufer, die sich nach den Hintergründen erkundigt haben, einige wenige Mails, zwei davon in etwas süffisantem Ton. Die Lehrer, die bei ihr vorbeikommen, hätten sich zur Sache nicht geäußert. „Die Ausschreibung bei facebook einzustellen war einfach blauäugig, zumal sie missverständlich ausformuliert war. Ich habe etwa die ersten 50 Kommentare gelesen, immer nur drauf, nur drauf – das tut man sich dann einfach nicht mehr an.“

Als Aufgaben für den Leiter der Schule zählt sie auf: Pädagogische Belange, Konzepte anschieben und in die Praxis umsetzen, Veranstaltungen planen und organisieren, Einstellung neuer Lehrer, Notenliteratur und Instrumente, die interne Kommunikation.

In der Einschätzung der erforderlichen Arbeitszeit für den Leiter der Schule ist sie sich mit dem Pressesprecher einig: Zwei bis acht Stunden die Woche, „das kommt auf die Ideen an, die jemand hat für die Größenordnung der Musikschule“.

So breit wie dieser Bereich von zwei bis acht Stunden ist – auf diese Sprachregelung hat man sich offenbar im Rathaus festgelegt, denn auch der Oberbürgermeister nennt diese Zahlen in einem Interview mit der Saarbrücker Zeitung. In diesem Interview weist er auch darauf hin, dass fünf von 13 Musikschulen im Saarland ähnlich agieren wie die von St. Ingbert.

Pressesprecher Gaschott kann diese fünf Schulen nicht benennen. Eine Webseite des saarländischen Bildungsministeriums sorgt letztlich für Klarheit: Dort sind 13 Musikschulen genannt, die Fördergelder vom Land erhalten. Acht dieser Schulen sind im Verband deutscher Musikschulen (VdM) organisiert, und dieser Verband fordert für die Leiter einer Musikschule eine sozialversicherungspflichtige, weisungsgebundene Festanstellung.

https://www.saarland.de/3315.htm

Die fünf nicht im Verband organisierten Schulen sind Illingen/Hüttigweiler, Ottweiler, Wallerfangen/Schwalbach, Wadgassen, und… St. Ingbert. Die ersten vier sind relativ kleine Schulen, St. Ingbert ist mit Abstand die größte davon.

Bernhard Stopp vom Ministerium dazu: „Nach unseren Förderrichtlinien ist es nicht wichtig, ob eine Schule im VdM organisiert ist, oder ob sie kommunal oder privat ist. Sie darf jedoch nicht Gewinn-orientiert sein, und der Leiter muss erstens seine künstlerische Qualifikation durch einen Hochschul-Abschluss und zweitens Kompetenzen im pädagogischen und Verwaltungsbereich in geeigneter Art nachweisen.“ Geprüft wird das nur auf formaler Ebene, also über Zeugnisse und Bescheinigungen.

„Wir prüfen die Qualifikation, nicht die Honorare der Beschäftigten.“ Dass da jede Schule auch aus ihrer Entwicklung heraus anders ist, sieht er auch: „Das sind dynamische Konstruktionen… “ St. Ingbert habe jedenfalls alle Kriterien für die Förderung erfüllt.

Etwas Historie

Über die dynamische Konstruktion der Musikschule St. Ingbert kann Everard Sigal berichten, der die Schule zwanzig Jahre lang geleitet hat, auf ehrenamtlicher Basis, bis Ende 2013. „Ich bin selbst in dieser Schule aufgewachsen, das war meine Heimat, und anfangs war ich ganz froh, dann diese Leitungsstelle zu haben.“

Zunächst war dieses Ehrenamt mit einem Drittel einer A11-Einstiegsstelle honoriert, was später dann auf ein Viertel reduziert wurde. „Das waren am Schluss so etwa 600 Euro im Monat. So nach zehn/fünfzehn Jahren hatte ich aber schon den Eindruck, dass das angemessener honoriert werden müsste, und dass die Schule mittelfristig auf ordentliche Füße gestellt werden muss.“

Vor etwa vier Jahren traten dann die drei aktuellen, nun zerstritten Leiter an, um zusammen die Schulleitung zu übernehmen, und der Stadtrat forderte diese Gruppe und Everard Sigal auf, jeweils ein umfassendes Konzept vorzulegen. „Das habe ich dann auch getan und sozusagen gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Nach meinem Konzept hätte es mittelfristig einen hauptamtlichen Leiter für die Schule gegeben. In der damaligen Situation, nach zwanzig Jahren Leitung der Schule, habe ich dann aber selbst aufgegeben.“

Ein Angebot

Noch vor diesem Wechsel stellte Sigal mit seinem früheren Studienkollegen Dieter Boden, der heute Leiter des saarländischen Landesverbandes des VdM ist, beim Kulturamt der Stadt St. Ingbert ein Konzept vor, wie die Musikschule reformiert und modernisiert werden könnte. Das Gespräch war aufmerksam und freundlich, hatte aber keine weiteren Konsequenzen.

Dieter Boden erinnert sich gut an das Gespräch und bedauert die heutigen Probleme. „Wir beraten die Stadt gerne und würden uns über ein gemeinsames Gespräch freuen.“ Die Stadt muss sich nur entscheiden, ob sie einen Ehrenamtler haben will, oder einen Angestellten, der dann weisungsgebunden ist. Eine Konstruktion, wie sie in der Stellenausschreibung skizziert wurde, sei aber arbeitsrechtlich so nicht zu machen.

Die Mitgliedschaft im Verband kostet die Kommune aktuell etwa 700 Euro im Jahr. Dafür gibt es regelmäßige Infos, die Nutzung der Infrastruktur des Verbandes, Kongresse und Seminare für Lehrer, ein Geben und Nehmen in der Kommunikation. „Das ist eine Riesen-Chance für diese Schule! Ich würde gerne mithelfen, die negative Energie in positive umzuwandeln, indem wir uns zusammen an einen Tisch setzen und gute Entscheidungen für die Musikschüler in St. Ingbert auf den Weg bringen.“

Wenn die Schule jemanden findet, der die Leitung kompetent „für lau“ macht, „ sichere dies kein nachhaltiges, kontinuierliches Angebot“, denn der Charme des Ehrenamtes sei es, dass man jederzeit das Engagement herunterfahren oder ganz aufhören könne.

Kritiker aus dem Verband

Matthias Pannes, Geschäftsführer des Verbands deutscher Musikschulen, äußert sich vernichtend über die Ausschreibung der Stadt: „Der Fall ist so einzigartig, sowas ist mir noch nicht vorgekommen. Das kann nur ein Verwaltungsfehler sein.“

Musikschulen, die Mitglied im Verband werden möchten, müssen einem Strukturplan folgen:
Es müssen Angebote für das frühe Kindesalter und das Grundschulalter sowie Fortgeschrittene vorhanden sein, die Bereiche Vokal, die unterschiedlichen Instrumentengruppen, Gehörbildung, Musiktheorie und Ensemble. Eine Schule muss zugangsoffen sein und soziale Tarife anbieten, möglichst Angebote für besonderen Förderungsbedarf und Begabtenförderung haben und für all das mehrjährige Verläufe sicherstellen.

Ganz wichtig auch, dass der Leiter der Schule in einer sozialversicherungspflichtigen Festanstellung und somit weisungsgebunden gegenüber seinem Arbeitgeber ist. „Dies ist in St. Ingbert ja nicht der Fall – ich weigere mich, eine solche Konstruktion als brauchbares Modell zu sehen“, so Matthias Pannes.

Die Gewerkschaft

Ganz schnell in den Shitstorm eingeschaltet hat sich auch die Fachgruppe Musik der Dienstleistungs-Gewerkschaft Verdi. In der Sprachregelung ist man da überhaupt nicht zimperlich: „Der Fisch stinkt vom Kopf her!“

So ganz nebenbei wird durch die Stellenanzeige auch publik, dass die Stadt St. Ingbert auch ihre Musikschullehrkräfte ins Prekariat schickt: Alle 33 Lehrkräfte sind freie Mitarbeiter mit allen Nachteilen gegenüber einer Festanstellung mit TVöD-Arbeitsvertrag.
Was anhand dieser Stellenausschreibung zu Tage tritt: Kulturelle Bildung, die die Identität unserer Gesellschaft ausmacht, wird geringgeschätzt, denn die, die diese Bildung vermitteln, werden mit Füßen getreten!

https://musik.verdi.de/themen/nachrichten/++co++38d59944-93a6-11e7-8a0f-525400f67940

Und in einem Offenen Brief an Oberbürgermeister Wagner wird nachgelegt:

Die Stadt St. Ingbert ist stolz auf ihr umfängliches Bildungs- und Kulturangebot.
Kann sie auch stolz auf einen seriösen und fürsorglichen Umgang als Arbeitgeber sein?
Wir fordern Sie eindringlich auf, für die Musikschulleitung, aber auch für die Lehrkräfte eine klare, moderne Umsteuerung durch Festanstellungen vorzunehmen. Die derzeit 33 Lehrkräfte und ihre Leitung verdienen das genauso, wie die von ihnen unterrichteten Menschen in Ihrer Stadt.

https://musik.verdi.de/themen/nachrichten/++co++39a40f6a-93d6-11e7-8a71-525400423e78

Auch Rudi Zink, Bundesfachgruppenleiter Musik bei Verdi, tritt mit klaren Worten an. „Geleistete Arbeit muss bezahlt werden, und eine Schulleiterstelle ist kein Klacks. Die sollen anständig ausschreiben; auch wenn’s eine kleine Schule ist, muss es bezahlt werden, und es findet sich eine Lösung, die bezahlbar ist.“

Was die Gewerkschaften am meisten aufbringt: Ehrenamtliche und Honorarkräfte sind nicht sozialversichert, es gibt also beispielsweise keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Aktuell ist die Musikschule in Berlin offenbar Vorreiter im Sinn von Verdi – dort wird der Anteil der festangestellten Musiklehrer schrittweise erhöht und der der freien reduziert.

Hilfe im Shitstorm: Offener Brief…

Der Leiter einer ähnlich großen Musikschule wie der in St. Ingbert startet seinen umfassenden Offenen Brief mit einer Rundum-Kritik, die die Musikschule regelrecht zerlegt („Entscheiden Sie sich aber zunächst einmal: wollen sie eine Musikschule, oder nicht. Wenn ja, übernehmen sie gefälligst Verantwortung.“), um dann mit konstruktiven Vorschlägen zur Abhilfe der Probleme beizutragen. Und aufmunternde Worte gibt es gratis dazu:

In den aktuellen kulturpolitischen Debatten klingt leider vermehrt der Tenor: Kunst ist toll, soll aber nichts kosten. Als Schwabe antworte ich: Was nichts kostet, ist nichts wert! Gehen Sie nicht dem Trend hinterher, sondern setzen sie ein Zeichen für die Kultur, die Bildung, Ihre Musikschüler, Ihre Lehrer und letztendlich Ihre Bürgerinnen und Bürger. Sie werden es Ihnen danken!

https://www.facebook.com/musikschulesanktingbert/posts/1964563797162784

… und ein Tritt ans Bein: Noch ein Offener Brief

Ein weiterer Offener Brief kommt vom Verein „art but fair“, der sich seit einigen Jahren vehement gegen Ausbeutung und Selbstausbeutung von Künstlern engagiert. Dass der Vereinsvorsitzende Johannes Schatz Rechtswissenschaften studiert hat, merkt man seiner Argumentation an, denn er zitiert gleich einen Paragraphen aus dem Sozialgesetzbuch und kündigt in der Schlusszeile an: „Ausdrücklich behalten wir uns weitere Schritte vor.“

Zudem wird dem Oberbürgermeister zum Vergleich die Ausschreibung einer Musikschule (Wiesental in Baden-Württemberg) etwa der gleichen Größe wie der in St. Ingbert vorgehalten. Dort soll der Leiter eine Festanstellung nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst in Stufe 10 erhalten.

https://www.facebook.com/artbutfair/photos/a.531502166904617.1073741829.490737050981129/1415237638531061/?type=3&theater

Variante A, B, C:
Wie geht es nun weiter in St. Ingbert?

Die Stelle als Ehrenamt mit Aufwandsentschädigung wird trotz der bereits vorliegenden Bewerbungen so erst einmal nicht besetzt. In den kommenden Wochen wird die Angelegenheit in den Kulturausschuss der Stadt und danach in den Stadtrat eingebracht und diskutiert – dort fällt dann die Entscheidung, wie weiter verfahren wird.

Im Gespräch sind drei mögliche Lösungen:

  • Eine ehrenamtliche Leitung der Schule wie bisher, eventuell dann aber mit anderen Rahmenbedingungen,
  • ein hauptamtlicher Schulleiter in Festanstellung, wie er von den Verbänden, der Gewerkschaft und den vielen Kritikern aus der Branche gefordert wird,
  • eine Kooperation mit einer weiteren Musikschule in der Region und einem gemeinsamen Leiter in Festanstellung und mit gemeinsamer Verwaltung.

Rolf Sterzinger
Rolf Sterzinger - Papa spielte Weihnachten immer Geige, was meine kleine Schwester regelmäßig in bittere Tränen ausbrechen ließ. Musikalische Früherziehung als Autodidakt mit Kochtopfdeckeln in Mamas Küche. In der 3./4. Klasse Blockflöte als Wahlunterricht. Versuche an Klavier und Gitarre mit 19 kamen zu spät. Heutige Sicht? Da zitiere ich Rainer Werner Fassbinder: "Ich möchte Musik machen können!"

1 KOMMENTAR

  1. Prima! Ich habe mir einige Stellen, die an die Stadtwerwaltung gemailt wurden, notiert. Die werde ich so manchen Eltern vorlegen. Die denken auch, dass Musiklehrer immer noch im Bulli wohnen, nicht wissen, was eine Familie ist und dass beim Besuch der Musikalischen Früherziehung der Lehrer Geldgeschenke verteilt, weil die Kleinen gebracht wurden. Papa Lu

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