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Gefängnis für eine Flöte: Ein Berliner Musikhaus gerät ins Visier der Zollfahnder

Für die beteiligten Behörden ist die Sache lange beendet, die Akten sind geschlossen und abgelegt (Staatsanwaltschaft Berlin, Aktenzeichen 241 Js 965/16). Für die Betroffenen, eine Mitarbeiterin und die drei Geschäftsführer eines Musikhauses in Berlin, wirkt das lange nach.

Ein paar Fakten vorweg

Am 22. Juli 2015 kommen drei Asiaten in das Musikhaus „Die Holzbläser“ in Berlin. Sie interessieren sich für besonders hochwertige und damit teure Instrumente – eine Flöte und eine Klarinette. Zwei probieren fachkundig die Instrumente, eine Person fungiert als Dolmetscher. Der Verkauf kommt zustande. Das Musikhaus stellt eine Rechnung, das Geld wird überwiesen, die Instrumente werden abgeholt.

Zwei Tage später meldet sich telefonisch der Verfassungsschutz und klärt auf, dass das Musikhaus damit möglicherweise gegen ein Handelsembargo verstoßen hat, das gegen Nordkorea besteht. Tatsächlich hatten die Käufer eine Adresse in Pjöngjang angegeben. Der Verfassungsschutz mahnt das Musikhaus, in Zukunft vorsichtig zu sein.

Im Detail und Juristen-Deutsch kann man die Gesetz und Bestimmungen hier finden:

§ 18 Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und §§ 74 ff. Außenwirtschaftsverordnung, in diesem Fall Luxusgüter nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a) in Verbindung mit Anhang VIII VO (EU) 2017/1509.

Ein Jahr lang passiert gar nichts mehr. Dann besuchen Zollfahnder den Laden und fordern die Herausgabe aller im Zusammenhang mit diesem Verkauf stehenden Dokumente. Das sind genau zwei Papiere – die Rechnung und der Zahlungseingang.

Kurz danach bekommen die Verkäuferin, die die Kunden bedient hatte, und die drei Geschäftsführer des Musikhauses Post von der Staatsanwaltschaft Berlin an ihre Privatadressen: eine Vorladung als Zeugen zur Ermittlung in einer Strafsache.

Es ist klar, dass die Zeugen schnell Beschuldigte werden können – es drohen Haftstrafen bis zu fünf Jahren. Das Musikhaus beauftragt einen Anwalt. Nach einem weiteren Jahr, Anfang August 2017, wird das Verfahren schließlich eingestellt.

Die Autorin Carla Neuhaus hatte im Tagesspiegel über den Fall umfassend berichtet:

http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/un-sanktionen-treffen-berliner-wie-zwei-musikhaendler-wegen-nordkorea-aerger-bekamen/20211418.html

Die Sicht auf die Dinge

Die Verkäuferin des Musikhauses „Die Holzbläser“

„Man hat halt einfach Angst. Man geht vom Schlimmsten aus.

Als der Zoll kam, dachte ich, jetzt gibt’s richtig Ärger. Die Zoll-Leute waren voll unangenehm. Wie die aufgetreten sind – wie in einem schlechten Film. Das waren so viele, die sind hinter einem gestanden am Rechner, „Kooperieren Sie!“ – das war total affig.

Und als die Vorladung der Staatsanwaltschaft da war, von der wurde das ja als Straftat dargelegt, haben wir das natürlich gegoogelt, und da droht dann eine Haftstrafe, Summe x.

Ich war total gestresst. Man denkt dann immer an das Gefängnis. Ich habe eine reine Weste, ich hab noch nie etwas Böses getan, ich wusste nicht, was tun, war schockiert, dass ich plötzlich in sowas involviert war, wegen so einer Lappalie. Kein Mensch in diesem Geschäft wusste was von einem Nordkorea-Embargo. Das ist dann wirklich ungemütlich, in sowas verwickelt zu sein.

In der Firma hatte ich gerade meine Ausbildung abgeschlossen, und ich will im Job auch immer alles ordentlich machen. Als diese Kunden aus Asien zu mir kamen, hab ich mich natürlich über den hohen Abschluss gefreut – sowas passiert nicht alle Tage.

Ich habe dann von der Firma auch einen Anwalt gestellt bekommen, der alles weitere übernommen hat. Überhaupt wurde ich in der Firma gut aufgefangen. Die Kollegen stehen zu einem, alle halten gut zusammen, die Holzbläser-Familie hat cool reagiert.

Wir haben uns manchmal auch ein bisschen mit Witzen gerettet: Als es einmal um Noten ging, meinte ein Kollege, ‚Ich bring dir dann welche ins Gefängnis, da singste dann mal was vor.‘

Die Angst vor dem Gericht und vor dem Gefängnis war aber immer da, auch vor einem Eintrag im Lebenslauf. Ich war immer angespannt – das hat mich auch bis nach Hause verfolgt. Ich hatte ständig Kopfschmerzen und ein andauerndes Unwohlsein. Das hat das Leben mächtig beeinflusst und eingeschränkt. Mein Stresspegel lag auf doppeltem Niveau. Ich hab mir eine riesige Decke gewünscht, in die ich mich einhüllen kann.

Als uns der Anwalt dann mitgeteilt hat, dass nichts mehr zu befürchten ist, da ist schon ein Stein geplumpst. Wir haben mit den Kollegen gefeiert, mit einem Glas Sekt.“

Andreas Schmucker, einer der drei Geschäftsführer des Musikhauses „Die Holzbläser“

„Unsere Verkäuferin und wir drei Geschäftsführer bekamen an unsere Privatadressen Vorladungen der Staatsanwaltschaft, und zwar zunächst als Zeugen. Allerdings hatten uns die Herren von der Zollfahndung angedeutet, dass wir schnell zu Beschuldigten werden könnten. Da stehen dann bis fünf Jahre Haft zur Debatte.

Insgesamt hat sich die Geschichte über zwei Jahre hingezogen. Kurz nach dem Verkauf hatten wir einen Anruf von einem Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, der uns über die Sachlage informierte. Das war alles sehr korrekt und in keiner Weise bedrohlich.

Ein Jahr später stand plötzlich der Zoll bei uns im Laden. Während der Geschäftszeit standen die da mit acht Mann, sehr entschlossen – auf mich machten die einen wichtigtuerischen Eindruck.

Mir hat sich nie erschlossen, woher und wie weit politisch dieses Verfahren in Gang kam. In einem Nachgespräch mit dem Verfassungsschützer konnte der das nicht fassen. Das sei nie seine Absicht gewesen.

Wir haben dann einen Anwalt beauftragt. Der hat erst einmal Akteneinsicht verlangt. Alle drei Monate hat er dann die Einstellung des Verfahrens beantragt. Das hat sich dann ein Jahr lang hingezogen. Die Staatsanwaltschaft hat versucht, uns zu unterstellen, wir hätten vom Embargo gegen Nordkorea gewusst. Das wäre dann rechtlich gesehen Vorsatz gewesen.

Dabei ist die ganze Sache juristisch ziemlich zweifelhaft: Im Embargo sind hochwertige Musikinstrumente nicht aufgeführt bzw. definiert. Und im Laden waren die Kunden nicht als staatliche Organisation Nordkoreas erkennbar. Über den aktuellen Verbleib der Instrumente, zum Beispiel, ob sie beschlagnahmt wurden, wissen wir nichts.

Als Zoll und Vorladungen kamen, hat unsere junge Verkäuferin richtig gezittert. Das war für sie ein einschneidendes Erlebnis. Auch für uns Geschäftsführer war das erschreckend. Bei mir war meine Frau besonders schockiert – für die war das immer präsent.

Man kann das kaum glauben, dass das Strafrecht so etwas erlaubt. Das hängt wie ein Damoklesschwert, das ist eine Verunsicherung und eine Machtlosigkeit, vor allem auch, weil sich das so lange hingezogen hat. Uns blieben letztlich noch die Anwaltskosten in Höhe von etwa 5000 Euro.

Galgenhumor hat ein bisschen geholfen. Die Kollegen wollten uns eine Flasche Wein ins Gefängnis mitbringen. Das hat sich nun zum Glück erübrigt…“

Christian Lanninger, Pressesprecher des Zollfahndungsamtes Berlin

Erste Reaktion: „Ich war früher selbst in der Zollfahndung tätig und kenne die Kollegen. Das sind eher höfliche Leute – ich kann mir nicht vorstellen, dass die da so rabiat aufgetreten sind. Eventuell war das auch irgendwie ungünstig koordiniert. Ob man Musikinstrumente als Luxusgut definieren sollte, das ist Sache der Politik und Justiz, das zu klären.“

Und nach Rückfrage in der eigenen Behörde: „Also, zunächst mal, was die Anzahl der eingesetzten Beamten angeht, müssen sie sich im Musikhaus in ihrem Schock verzählt haben. Es waren fünf Leute, drei Zollfahnder und zwei Techniker.

Wenn gefragt wird, ob wir nichts besseres zu tun haben – klar haben die Kollegen viel zu tun. Aber für die Aktion gab es natürlich einen Gerichtsbeschluss zur Durchsuchung, auf Antrag der Staatsanwaltschaft, wobei das sogar ein ‚abgemilderter‘ Beschluss war, wie wir das nennen. Das bedeutet, dass nicht wirklich durchsucht wird, wenn die Betroffenen mit uns kooperieren und die geforderten Dinge bzw. Dokumente herausgeben. Das ist ja auch geschehen.

Bei Durchsuchungen gibt es eine feste Mindestzahl an Beamten, schon zum Selbstschutz. In dem Fall hatten wir noch die Techniker dabei, die sich gegebenenfalls mit den Rechnern des Musikhauses hätten beschäftigen müssen, was ja dann nicht nötig war.

Die Reaktion der Betroffenen vor Ort kann ich mir nur aus der persönlichen Befindlichkeit erklären. Wenn jemand nie mit so etwas zu tun hat und unvermittelt in so eine Situation kommt, dann kann ich mir schon vorstellen, dass die Menschen da schockiert sind.“

Martin Steltner, Pressesprecher der Generalstaatanwaltschaft Berlin

Auf Nachfrage des Pressesprechers bei der betroffenen Staatsanwaltschaft: „Die Staatsanwaltschaft äußert nicht zu dem Fall. Zudem ist das ein abgeschlossenes Verfahren.“

Auf den Einwand, ob sich da die Staatsanwaltschaft nicht zwischen Garderobenständer und Papierkorb versteckt: „Das ist nett formuliert…“

Es folgte ein freundliches Gespräch über das öffentliche Interesse an den Beweggründen für Entscheidungen von Staatsanwaltschaften.

Info
Die Zitate der Beteiligten sind Zusammenfassungen längerer Telefon-Interviews bzw. -Gespräche.

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Rolf Sterzinger - Papa spielte Weihnachten immer Geige, was meine kleine Schwester regelmäßig in bittere Tränen ausbrechen ließ. Musikalische Früherziehung als Autodidakt mit Kochtopfdeckeln in Mamas Küche. In der 3./4. Klasse Blockflöte als Wahlunterricht. Versuche an Klavier und Gitarre mit 19 kamen zu spät. Heutige Sicht? Da zitiere ich Rainer Werner Fassbinder: "Ich möchte Musik machen können!"

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