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Gibt es einen Zwang zur Festanstellung von Musikschullehrkräften?

Ein Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden des Bundesverband der Freien Musikschulen

In der Musikschulszene geht die Angst vor den Folgen eines Zwangs zur Festanstellung von Musikschulkräften um. Seit langem wird kritisiert, dass für die Beauftragung von Honorarkräften keine praktikablen und rechtssicheren Kriterien bestehen, die einen sinnvollen Einsatz ohne Furcht vor dem Damoklesschwert „Scheinselbstständigkeit“ ermöglichen.

Der Verband deutscher Musikschulen schreibt nun, ausgehend von einem Urteil des Bundessozialgerichts (B 12 R 3/20 R) und den Beurteilungsmaßstäben der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung , dass

„eine Beschäftigung von Lehrkräften an Musikschulen als Honorarkräfte i. d. R. nicht mehr möglich ist. Die Rechtsprechung zu Honorarkräften macht somit die Überleitung von Honorarverträgen in Anstellungsverträge für Musikschullehrkräfte dringend erforderlich.“ (Quelle FAQ Honorarverträge des VDM vom 20.12.2023)

Wie ist diese Aussage einzuschätzen und was bedeutet das für die Musikschulen und ihre Kunden?

Hierzu habe ich Herrn Mario Müller, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Freien Musikschulen, befragt.

msi: Herr Müller, die Gesetzeslage hat sich in den letzten Jahren nicht geändert. Wie kommt es zu der aktuellen Position des VDM, die sich in ähnlicher Form auch von anderen Verbänden finden lässt?

Mario Müller
Mario Müller, Vorstandsvorsitzender bdfm

Mario Müller: Es ist richtig, dass sich an der Gesetzeslage im Arbeitsrecht nichts geändert hat. Jedoch gehen die Urteile der Gerichte, die zum Thema Scheinselbstständigkeit gefällt wurden, immer mehr in Richtung Festanstellung. Das „Das Herrenberg-Urteil“ aus 2022 hat in der Begründung nun noch ein paar Kriterien formuliert, warum es eine Scheinselbständigkeit festgestellt hat, was nun das Arbeiten mit Honorarkräften schwieriger macht.

Wie ist die Position des bdfm in dieser Frage?

Mario Müller: Im bdfm gibt es nun zwei Positionen. Das eine ist die beratende Position gegenüber den Mitgliedern zum Status quo und das andere ist die politische Haltung des bdfm zu diesem Thema.

Kommen wir einmal zur Beratung:

Bei einer Beratung auf der derzeitig rechtlichen Lage, müssen wir unseren Mitgliedsschulen empfehlen, ihre Zusammenarbeit mit Ihren Dozentinnen und Dozenten ganz genau zu überprüfen. Das heißt nicht, dass der Honorarvertrag geprüft werden muss, sondern wie die Zusammenarbeit in der Musikschule tatsächlich gelebt wird. Diese Prüfung sollte jeder Musikschulinhaber oder jede Musikschulinhaberin auch ganz objektiv auswerten. Wenn man da zu dem Entschluss kommt, dass man eine Musikschule als Institution, mit einem gewissen Qualitätsmanagement und einer guten Ausstattung führen möchte, sollte man sich für eine Festanstellung der Dozentinnen und Dozenten entscheiden. Bei Schulen, die eher ein loser Zusammenschluss von Dozentinnen und Dozenten darstellen, kann man ggf. auch noch mit Honorarkräften arbeiten. Als bdfm können wir eine rechtskräftige Beurteilung jedoch nicht vornehmen, da es dafür das Statusfeststellungsverfahren gibt, durch das jedes Arbeitsverhältnis individuell geprüft wird. Nur durch dieses Verfahren hat man als Schulleitung die Sicherheit, dass man das richtige Vertragsverhältnis mit einem Dozenten oder einer Dozentin hat.

Kommen wir nun zur politischen Forderung des bdfm:
Hier verfolgt der bdfm die Haltung, dass beide Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Dozentinnen und Dozenten möglich sein müssen. Der bdfm ist seit Jahren Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Selbstständigen Verbände (bagsv), ein Zusammenschluss aus mehr als 30 Verbänden, die sich diesem Thema annimmt. Es gab hier bereits viele Gespräche mit dem Arbeitsministerium und Diskussionen mit Herrn Minister Heil, jedoch ist der Minister und auch das Ministerium von dem Verfahren des Statusfestellungsverfahrens überzeugt und sieht hier keinen Änderungsbedarf.

Setzt sich der bdfm weiterhin für die Möglichkeit einer freiberuflichen Tätigkeit als Instrumental- oder Vokallehrer:in an Musikschulen ein?

Selbstverständlich! Die DNA des bdfm baut auf eine vielfältige Musikschullandschaft auf, von kleinen bis großen Schulen sowie gewinnorientierten Gesellschaften und gemeinnützigen Gesellschaftsformen. In diesem breiten Spektrum sollten auch diverse Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen der Musikschule und den Dozentinnen und Dozenten möglich sein, sonst würde die Vielfalt in Zukunft weniger werden.

Ein Argument für die Beschäftigung von Honorarkräften ist deren Praxisnähe und fortgeführte Arbeit als Musiker. Als betriebswirtschaftliche Vorteile für die Musikschulen werden geringere Personalkosten und höhere Flexibilität genannt. Wie beurteilen sie diese Argumente?

Ein Anstellungsverhältnis in einer Musikschule schränkt die Arbeit eines Musikers oder Musikerin in keiner Weise ein. Man kann seine freiberufliche Tätigkeit neben dem Job in der Musikschule ohne Einschränkung fortführen. Den Musikschulen rate ich hier, die Arbeitsverträge so zu gestalten, dass es für beide Seiten ein gute Basis der Zusammenarbeit ist. Ein großer Vorteil für Dozentinnen und Dozenten bei einer Festanstellung ist natürlich die soziale Absicherung. Man hat eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, ab dem ersten Tag, eine Arbeitslosenversicherung, eine Absicherung über die Berufsgenossenschaft und zahlt volle Beiträge in seine Rentenversicherung ein. Für Musiker und Musikerinnen, die dann noch freiberuflich unterwegs sind, ist nur noch ein Teil der KSK Abgabe zu entrichten, die auf die Einnahmen der Freiberuflichkeit entfallen. Je nachdem, wie hoch der Anteil der Festanstellung in der Musikschule ist, entfällt auf den Einnahmen der Freiberuflichkeit der Beitrag zu gesetzlichen Krankenversicherung, was unter dem Strich ein finanzieller Vorteil ist.

Zum zweiten Teil der Frage, der geringen Personalkosten und Flexibilität bei Honorarkräften, möchte ist folgendes feststellen: Derzeit mag das mit den geringeren Personalkosten für Musikschule ja noch stimmen, jedoch gibt es hier auch Forderungen auf Mindesthonorare für Dozentinnen und Dozenten, die dann auch Honorarverhältnisse verteuern werden. Die Flexibilität ist mit Honorarkräften etwas größer als mit festangestellten Personal, aber auf der anderen Seite ist es auch eine Chance, überhaupt wieder Personal zu bekommen. Bei dem derzeitigen Fachkräftemangel kann man die Festanstellungen als echte Chance begreifen, Personal zu bekommen und auch zu halten.

Was bedeutet die Festanstellung für die Honorarkräfte? Verdienen sie mehr, sind sie stärker abgesichert?

Mehr Cashflow im Monat hat ein angestellter Musikschuldozent oder eine angestellte Musikschuldozentin meist nicht. Bei der Freiberuflichkeit werden einige Abgaben, z.B. Steuern, erst am Jahresende zu 100% fällig. Bei einem Angestelltenverhältnis werden diese Steuern gleich monatlich abgezogen. Am Ende des Jahres bekommt man hier meist Geld vom Finanzamt zurück. Die Absicherung ist für einen Angestellten selbstverständlich deutlich besser, wie ich ja bereits oben erwähnt hatte.

Wie sieht es bei der Vereinbarkeit von mehreren Mini- , Midi – oder Honorarjobs aus? Ist das für ehemalige Honorarkräfte ein sinnvolles Modell?

Mini- und Midijobs lassen sich gut mit freiberuflicher Tätigkeit kombinieren. Beim Minijob hat der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin sogar den Vorteil, dass keine Steuern anfallen und so der Stundenlohn brutto wie netto ist.

Wie hoch steigen für die Musikschule die Kosten bei einer Umstellung auf 100 % Festanstellung?

Ob und wie hoch die Kosten für die Musikschulen steigen liegt ganz daran, welche Honorarsätze bisher gezahlt wurden. Für einen Festanstellungsvertag halte ich einen Blick in den Tarif TVÖD 9b für sinnvoll, dies ist das Entgeld, welches kommunale Musikschulen ihren Mitarbeitenden bezahlen. An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass die freien Musikschulen keinem Tarifvertrag unterliegen und somit die Vertragmodalitäten und auch Stundenlöhne frei verhandelt werden können.

Zusätzlich zu den bereits gestiegenen Betriebskosten ist also mit höheren Personalkosten für die Musikschulen zu rechnen. Die EU hat kürzlich die BRD unter Strafandrohung zu einer Reform des Umsatzsteuergesetzes aufgefordert. Dies lässt eine Mehrwertsteuerpflicht für den Musikunterricht befürchten – also erneut weitere Kosten. Ist eine Verteuerung des Musikunterrichts zu erwarten?

Ja! Da die Politik in Deutschland derzeit nicht erkennen lässt, das Sie Instrumental- und Vokalunterricht flächendeckend fördern möchte, werden die Beiträge für die Musikschulen steigen. Da auch bei den kommunalen Anbieter nicht mit einer Ausweitung der Förderung zu rechnen ist, wird es dort entweder ebenfalls zu Preissteigerungen oder zur Einschränkung des Angebotes kommen. Wie Instrumental- und Vokalunterricht zukünftig gefördert werden kann, hat der bdfm in seinen politischen Forderung bereits vor einigen Jahren veröffentlicht. In einigen Bundesländern gab es dazu auch schon neue Musikschulgesetze mit einigen Verbesserungen für die freien Musikschulen, jedoch ist die Politik sehr zurückhaltend, was die Kulturförderung angeht.

Lassen sich höhere Unterrichtsgebühren auf dem Markt umsetzen? Wird musikalische Bildung nur noch für Wohlhabende zugänglich sein?

Wenn es uns gelingt, dass das Erlernen eines Instrumentes wieder an Wertigkeit gewinnt, bin ich der festen Überzeugung, dass sich höhere Gebühren am Markt durchsetzen lassen. Was jedoch ebenfalls erforderlich sein wird ist, dass die Musikschulen aus der 1 zu 1 Situation Schüler Dozent rauskommen und sich um neue Formen des Gruppenunterrichts oder andere Modelle kümmern, um so auch preiswert Musikunterricht anbieten zu können. Ob Instrumental- und Vokalkunterricht nachher nur noch für Wohlhabende möglich ist, entscheiden nicht wir als Verband oder unsere Musikschulen, sondern einzig und alleine die Politik. Sie kann Fördermaßnahmen für sozialschwächere Familien einrichten, so dass für jedes Kind weiterhin ein Unterricht in einer Musikschule möglich sein wird.

Was rät der bdfm seinen Mitgliedern in der aktuellen Situation?

Mein wichtigster Tipp derzeit ist es, nicht in Panik zu verfallen. Ich rate allen nun erst einmal eine Bestandsaufnahme der eigenen Musikschule zu machen und dann zu überlegen, wo sich diese Musikschule in Zukunft hin entwickeln soll. Der bdfm und die Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen bieten in diesem Jahr viele Veranstaltungen zum Thema Musikschulentwicklung an. Eine Teilnahme an diesen Veranstaltungen kann ich in der jetzigen Situation nur empfehlen, um sich ein klares Bild für die Zukunft zu machen.

Wenn man jetzt die richtigen Weichen stellt, können wir gestärkt aus dieses Krise herauskommen. Ich bin sicher, dass die Musikschulen mit dem richten Angebot auch zukünftig eine sehr gute Zukunft haben werden.

Herr Müller, ich danke ihnen für das Gespräch.

(C) Foto: Frank Korte

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Frank Korte studierte visuelle Kommunikation und Fotografie. Er arbeitete für Agenturen und diverse Kunden im Bereich Multimedia. Seit Herbst 2015 leitet er die Bundesgeschäftsstelle des bdfm. 2023 übernahm er die Leitung der musikschule intern.

Ein Kommentar

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Liebe Kollegen,
    Das Herrenbergurteil ist der Versuch, künstlerische Arbeit in das Raster der ” normalen” Arbeitswelt zu pressen.
    Wenn man damit aber anfängt, kann man nicht auf halber Strecke stehen bleiben.
    Kleine private Musikschulen kämpfen jetzt um ihre Existenz, weil sie Angestelltenverträge mit den Sozialbeiträgen – neben der Bürokratie – nicht stemmen können.
    Preislich und vertragliche Flexibilität sicherten Ihnen die Existenz.
    Jetzt treten sie in Konkurrenz zu städtischen, subventionierten Betrieben- et voilà:
    Hier greift wohl EU-Recht! Wettbewerb!
    Darf der Staat in einem freien Markt in Konkurrenz zu freien Anbietern treten und seine Betriebe mit Hardware in Form von Gebäuden ( auch Schulen! ) und Logistischem Netz ( IT, Ausbildung von Verwaltungspersonal mit evtl. vergünstigter Aquise ( Mietrabatte, Mengenrabatte ) begünstigen?
    Das Stichwort lautet Marktverzerrung.
    Also bitte: wer im Fall Herrenberg A sagt, muss jetzt B zum freien Markt sagen.
    Dann haben freie Musikschulen entweder genug Anmeldungen – oder es kommt vielleicht im freien Markt zum Totalausfall musikalischer Breitenförderung;
    dann wäre eine Aufwertung der Musikschule zur “richtigen” Schule konsequent und komplett in Staatshand. Mit den gleichen Maßstäben wie sie für allgemeinbildende Schulen gelten.
    Anders ist Gerechtigkeit nicht herzustellen. Das Urteil von Herrenberg hat soweit wohl nicht geschaut- die Richter haben eben nur einen Aspekt im Blick gehabt und ein gewachsenes System in Unordnung gebracht.

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