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Foto Mario Müller

Lockerungen in Zeiten von Corona. Wie geht es den freien Musikschulen in der Krise?

Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbandes der Freien Musikschulen

Musikschulen sind wieder geöffnet, wenn auch mit vielen Einschränkungen. Wie sind die freien Musikschulen bislang durch die Krise gekommen? Und wie geht es weiter? Über die aktuelle Situation hat die msi mit Mario Müller, dem Vorsitzenden des bdfm gesprochen.

msi: Herr Müller, vor gut zwei Monaten wurden die Musikschulen auf behördliche Anweisungen geschlossen. Vor gut zwei Wochen endete das Musikschulverbot in den ersten Bundesländern. Wie ist die aktuelle Situation in den Musikschulen, welches Bild stellt sich dar?

Mario Müller: In allen Bundesländern durften Musikschulen öffnen, aber unter sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. In einigen Ländern sind zum Beispiel Blas- und Gesangsunterricht nicht erlaubt, in anderen dürfen auch diese Gruppen unterrichten, allerdings mit 5 Metern Abstand. Es ist unübersichtlich. Besonders schwierig wird es für Musikschulen, die an der Grenze zu zwei Bundesländern liegen. Welche Regeln gelten da? Ich hoffe, dass es irgendwann eine einheitliche Linie geben wird.

Ist das realistisch und absehbar? Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Entscheider selbst verunsichert sind. Dazu kommt, dass innerhalb eines Bundeslandes wiederum große Unterschiede gemacht werden und kleinste Kommunen die Regeln schreiben.

Generell denke ich ist es gar nicht verkehrt, dass eine Kommune bzw. ein Landkreis selber entscheiden kann. Die müssen natürlich die Corona-Zahlen im Blick haben. Wenn es da viele Neuansteckungen geben sollte, dann muss eine Kommune schnell reagieren können. Aber wir haben auch Städte in Deutschland, wo es überhaupt keine Erkrankungen mehr gibt. Da ist das Risiko, dass man sich da ansteckt, winzig klein. Da können wir sehr gut mit Lockerungen umgehen. Ich halte regionale Entscheidungen für sinnvoll.

Die Lockerungen der Kontaktbeschränkungen werden in der Bevölkerung kontrovers diskutiert. Wie sind die Positionen innerhalb Ihres Verbandes?

Der Verband hält die Lockerungen für sinnvoll. Allerdings sollten sie immer mit Augenmaß vorgenommen werden. Das Wichtigste ist, niemanden zu gefährden, weder die Schüler noch unsere Mitarbeiter und Honorarkräfte.

Für die Musikschulen war es wichtig, dass sie wieder öffnen können. Viele haben während der Schließzeiten sehr gute Hygienekonzepte entwickelt und gehen vernünftig und verantwortungsvoll mit dem Thema um.

Können Sie schon jetzt die Verluste beziffern, die aufgrund der Schulschließungen entstanden sind?

Das ist ganz unterschiedlich. Musikschulen, die ihren größten Anteil aus dem Einzelunterricht beziehen, haben teils geringe Verluste. Sie konnten viel über den Onlineunterricht auffangen. Andere Schulen haben sehr viele Kooperationen mit allgemeinbildenden Schulen und Kitas, da sind die Verluste wesentlich größer.

Eine Rolle spielt auch, dass die Anmeldezahlen zurückgegangen sind. Jetzt kommt das übliche Sommerloch. Erst danach können wir erst im Ansatz abschätzen, was übrig bleibt.

Jetzt genaue Zahlen zu benennen, dafür ist es noch zu früh. Die Abrechnung wird am Ende des Jahres gemacht.

Wie schätzen sie die Wirksamkeit der Förderhilfen für die freien Musikschulen ein? Auch die waren ja sehr unterschiedlich zwischen den Bundesländern.

Die waren sehr unterschiedlich. Die Fördertöpfe standen ja vor allem Unternehmen zur Verfügung. Das heißt, Musikschulen mit einer bestimmten Anzahl von Festangestellten konnten mehr davon profitieren als Musikschulen mit ausschließlich auf Honorarbasis Beschäftigen. Die wiederum hatten als Solounternehmer die Möglichkeit, Hilfe zu beantragen. Wie sich das alles im Nachhinein auszahlt, können wir auch erst am Jahresende beurteilen.

Als Wirtschaftsunternehmen sind die freien Musikschulen zu 100% von den Unterrichtsgebühren ihrer Schüler abhängig. Wie erleben sie das Verhalten ihrer Kunden in diesen unsicheren Zeiten, bzw. wie stellt sich das Verhältnis Kunde/Schüler dar?

Das liegt vor allem an dem Profil der Musikschule. Fühlt sich der Kunde in der Musikschule als große Familie, ist er bereit, die Schule zu unterstützen. Unabhängig von der momentan erbrachten Leistung. Da erfahren viele unserer Schulen viel Solidarität. Aber wenn die Kommunikation zwischen Musikschulen und Kunden nicht optimal läuft, kann es auch zu Unmut vonseiten der Kunden kommen. Doch die Solidarität scheint zu überwiegen.

Was benötigen die freien Musikschulen, um die weitere Zeit „mit Corona“ bewältigen zu können?

Die Musikschulen brauchen jetzt ein Konzept, wie Onlineunterricht und Unterricht vor Ort sinnvoll miteinander kombiniert werden können. Denn es kann immer sein, dass in einer Kommune die Fallzahlen nach oben gehen und Musikschulen wieder geschlossen werden. Dann ist es gut, sofort reagieren zu können und den Betrieb am Laufen zu halten. Da stehen die Schulen vor einer großen Aufgabe.

Ihr Verband bietet da ja mittlerweile viel Unterstützung in Form von Weiterbildungen und digitalen Diskussionsrunden an. Was bietet der Verband seinen Mitgliedern genau an?

Wir hatten bislang jede Woche eine Videokonferenz. Da konnte jeder seine Fragen stellen, da konnten Erfahrungen ausgetauscht werden, da konnte diskutiert werden. Das war und ist für viele eine große Hilfe. Darüber hinaus bieten wir eine Reihe von Webinaren an, in denen beispielsweise bestimmte Softwares und Programme vorgestellt werden, die Musikschulen aus unserer Sicht sinnvoll unterstützen können. Und wir bieten im September ein Symposium zum Thema „Digitale Musikschule“ an, wo vor allem auf Gestaltungsmöglichkeiten von digitalem Unterricht eingegangen werden soll.

Wird das Symposium digital stattfinden?

Das wissen wir noch nicht. Wenn die Bestimmungen es erlauben, möchten wir das digitale Symposium gern analog gestalten. Aber das können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen.

Was wird sich in Zukunft für Musikschulen ändern? Was hat sich eventuell aufgrund der Lage bereits geändert?

Ganz klar das Thema „Digitalisierung“ in Musikschulen. Das ist in den Mittelpunkt gerückt. Der bdfm hat dieses Thema schon lange auf dem Zettel, aber viele Musikschulen haben es lange vor sich her geschoben. Die aktuelle Lage hat nun gezeigt, dass wir daran nicht vorbeikommen. Und da geht es nicht nur um digitale Verwaltung von Musikschulen, sondern wie bereits angesprochen auch um den digitalen Unterricht. In Zukunft werden uns Fragen beschäftigen, die daraus entstehen: wie werden zum Beispiel Verträge formuliert hinsichtlich der Bewertung von digitalem Unterricht. Ist der vergleichbar mit dem Unterricht vor Ort? Da kommen viele neue Aspekte auf uns zu.

Ist digitaler Unterricht die Zukunft von Musikschulen?

Nein. Digitaler Unterricht ist kein Ersatz für den Unterricht vor Ort. Musikschulen sollten immer ein Ort sein, an dem Musik gelebt wird. An dem gemeinsam musiziert wird, an dem ein persönlicher Austausch stattfindet, ein sozialer Ort. Das kann kein digitaler Unterricht jemals ersetzen.

Digitale Angebote können spannende Ergänzungen sein, neue Wege aufzeigen und gegebenenfalls eine Brücke sein. Aber die Musikschule hat nur eine Zukunft, wenn sie ein Ort des Musizierens, des gemeinsamen musikalischen Dialogs bleibt. Das ist mir sehr wichtig.

Vielen Dank für das Gespräch.

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Susann Krieger studierte Korrepetiton/ Musiktheater (HfM Dresden) und Rundfunk-Musikjournalismus (HfM Karlsruhe). Sie arbeitet als freie Autorin für verschiedene ARD-Rundfunkanstalten (u.a. WDR, BR, MDR, SWR) und unterrichtet Klavier. 2017 erhielt sie den Deutschen Radiopreis für die beste Reportage und wurde für den Prix Europa nominiert.

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