Erstmals Orgelunterricht in einer freien Musikschule in Sachsen
Eisenacher Straße in Leipzig: Eine schmale gewundene Treppe führt hinab in den Keller, ebenso schmal der folgende Kellergang. Links und rechts sind Türen, die zu den Unterrichtsräumen führen. Aus dem Raum 004 sind Orgelklänge zu hören.
Zeitgleich steht Michael Plättner, Leiter der Musikschule, im Café der Schule. Hier ist eine Leinwand aufgebaut, auf dem das Geschehen im Orgelraum live übertragen wird. In wenigen Minuten beginnt die offizielle Einweihung der Orgel an der Musikschule „Neue Musik Leipzig“.
Michael Plättner ist studierter Jazzgitarrist. Als sein Sohn Mitglied im Thomanerchor wird und er zahlreiche Chorkonzerte in Kirchen besucht, entdeckt er seine Liebe zur Orgel. Er sieht die Vielfältigkeit der Möglichkeiten, die das Instrument bietet und beginnt darüber nachzudenken, selbst Orgelunterricht anzubieten. Sein bester Gesprächspartner ist sein Kollege Andreas Mitschke, der an Michael Plättners Musikschule Klavier unterrichtet. Er hat Kirchenmusik studiert und arbeitet als Kantor an der Leipziger Taborkirche mit internationalen Künstlern wie Gustav Rivinius, Matthias Kirschnereit und Dieter Falk zusammen.
Mitschke durchforstet sämtliche Orgelverkaufs-Portale, um eine passende Orgel für die Musikschule zu finden und ist schließlich erfolgreich. Aus einer anfänglichen Träumerei wird Realität.
Ein Privatmann aus Hessen bietet seine Orgel zum Verkauf. Sie wurde 1977 von der Orgelbau-Firma Hofbauer gebaut. Andreas Mitschke nennt sie Ikea-Orgel, da sie wie ein Bausatz aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt wird.
Michael Plättner fährt gemeinsam mit dem Orgelbauer Stefan Pilz in einen Vorort von Frankfurt/ Main, wo die Orgel steht. Im Gepäck haben sie hunderte von Decken, alte Zeitungen und spezielle Kisten zum Verpacken jeder einzelnen Orgelpfeife.
Um 4 Uhr an einem Frühsommermorgen beginnt die Reise mit dem großen leeren Sprinter. „Die Orgel ist ursprünglich mit dem Kran in das Haus reingekommen, keiner wusste, wie sie wieder rauskommt.“, erzählt Stefan Pilz. Er hatte vorher nur ein Foto der Orgel gesehen und wusste ungefähr, was drin steckt, was ihn erwartet. Doch jedes Instrument ist individuell und erst vor Ort kann sich der Orgelbauer sein komplettes Bild machen.
Gegen 11 Uhr beginnen Plättner und Pilz mit dem Zerlegen und Verpacken der Orgel. Zwölf Stunden später fahren sie zurück. Müde, aber glücklich und mit einem in Einzelteilen zerlegten Instrument kommen sie zwischen 2 und 3 Uhr nachts nach Leipzig zurück.
Die Sommerferien beginnen. Jetzt soll die Orgel an ihren neuen Platz und die unterrichtsfreie Zeit zum Auf- und Umbau genutzt werden. Der große Stahlrahmen passt kaum durch das schmale Treppenhaus hinab in den Keller und hinterlässt Spuren an den Wänden.
Das Zusammensetzen der Einzelteile dauert erheblich länger als das Auseinanderbauen. Stefan Pilz verändert einige Dispositionen an der Orgel, passt die Stimmungen an den Raum an, nimmt „schreiende“ Mixturen heraus, ersetzt es durch grundtönigere Register. Das Instrument wird dem kleinen Raum angepasst, es soll weder zu laut noch zu leise sein.
Stefan Pilz ist ein Profi. Er kennt viele Orgeln und ist ein gefragter Orgelbauer. Mal ruft das Gewandhaus Leipzig an, mal wird er kurzfristig in der Thomanerkirche gebraucht. An der Orgel für die Musikschule tüftelt er in seiner Freizeit. Er ist selbst gespannt auf das klangliche Ergebnis.
Die Hofbauer-Orgel sei jetzt gut für den Unterrichtsbetrieb geeignet, sagt Pilz. Man habe ein gutes Spielgefühl, die Tasten und Pfeifen reagierten direkt, so das ein präzises Spiel möglich sei. Aber er will noch an der Orgel weiterarbeiten.
Michael Plättner ist keine andere Musikschule außerhalb Bayerns und Baden-Württembergs bekannt, die Orgelunterricht anbietet. Der Musikschulleiter freut sich auf sein neues Angebot. Er ist überrascht, wie viele Menschen Orgel in Leipzig spielen. Es gibt bereits sechs Interessenten für den Unterricht. Und er will mit Leipziger Kirchen Kooperationen eingehen.
Plättner weiß, wenn ein Instrument erstmal da ist, sicht- und hörbar ist, kommen Kinder und Jugendliche auch darauf, es lernen zu wollen: „Viele Kinder kommen nicht auf den Gedanken, Fagott oder Oboe zu spielen, weil sie es nicht sehen.“
Doch bevor der Unterricht losgeht, wird die Orgel feierlich eingeweiht. Etwa 15 Menschen sitzen im circa 24 Quadratmeter großen Raum. Andreas Mitschke spielt Werke aus der Barockzeit über Klassik bis hin zur Moderne. Zwischendurch erzählt Michael Plättner noch einmal die Geschichte der Orgel. Am Schluss des Konzertes steht eine Improvisation zwischen Saxophon und Orgel. Hier wird gut hörbar, was alles möglich ist, welche Breite das Instrument zu bieten hat, wie es sich mit einem anderen mischt, mit ihm kommuniziert. Die kleine Hofbauer-Orgel im Raum 004 der Musikschule „Neue Musik Leipzig“ bringt den Raum zum Klingen. Eine spannende musikalische Reise hat begonnen.
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