Die letzten Stühle werden zurechtgerückt, Notenblätter zwischen Saiten geschoben, die Finger in Position gebracht. Dann heben sich die Blicke. Fünfzehn Augenpaare sehen konzentriert nach vorne. Dort steht Gabriele Hellwig, die Leiterin des Veeh-Harfen®-Ensembles. Gabriele Hellwig gibt den Einsatz. Sekunden später klingt Pachelbels Kanon in D-Dur dreistimmig durch den Ensembleraum der Musikschule Tonleiter in Essen.
13 Jahre ist es nun her, dass Gabriele Hellwig, Geschäftsführerin der Musikschule Tonleiter und Musikgeragogin, die Veeh-Harfen® ins Haus geholt hat. Ursprünglich als Instrument für Menschen mit Beeinträchtigung entwickelt, ist die Veeh-Harfe® inzwischen auch ein Instrument für ambitionierte Ensemblespieler*innen.
1987 suchte der Landwirt Hermann Veeh ein Instrument, mit dem sein Sohn Andreas, der mit dem Down-Syndrom geboren wurde, musizieren kann. Es sollte ein Saiteninstrument sein, mit dem man mehr als nur Akkorde spielen kann, das gut begreifbar und leicht zu spielen ist. Herrmann Veeh und Andreas bauten und probierten viele Klangkörper und Saiten aus, bis am Ende vieler Versuche die heutige Veeh-Harfe® stand.
Die Spieltechnik ist denkbar einfach: zwischen Veeh-Harfen®-Decke und die – je nach Modell – 18-25 Saiten wird ein spezielles Notenblatt geschoben, auf dem der Verlauf von Melodie- und Begleitstimme mit Punkten notiert ist, die nun direkt unter den Saiten liegen. Ein musikalischer Laie kann so das Musikstück spielen, indem er die verbundenen Noten in der vorgegebenen Reihenfolge von oben nach unten zupft. Der Klang der Harfe ist ähnlich dem der Konzertharfe: wunderbar weich aber dennoch ausdrucksstark.
„Zu Anfang wurde die Veeh-Harfe® noch ein wenig belächelt“, erzählt Gabriele Hellwig. Sie selbst wurde durch ihren Sohn Nils, der ebenfalls mit dem Down-Syndrom geboren wurde, auf die Veeh-Harfe® aufmerksam. Schnell erkannte sie das Potential des Instruments: „Die Veeh-Harfe® ist ein ganz besonderes Instrument. Es ermöglicht Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen ganz ohne das Erlernen von Noten das Spiel einfacher Lieder. Die Freude auf den Gesichtern ist einfach wunderbar, wenn recht schnell eine Abfolge von Noten gespielt werden kann und daraus ein vertrautes Lied entsteht. Auch in Seniorenheimen und Betreuungseinrichtungen ist die Veeh-Harfe® inzwischen ein bewährtes Mittel, um die Bewohner ein Stück aus ihrem Alltagstrott herauszuholen, gemeinsam liebgewonnene Volkslieder zu spielen und dabei zu singen.“ Die drei Ensembleleiter*innen der Musikschule Tonleiter haben eine Weiterbildung in Musikgeragogik besucht. „Die Musikgeragogik befasst sich mit dem Thema Musik für und mit Menschen im dritten und vierten Lebensalter“, erklärt Gabriele Hellwig: „Die Weiterbildung ist eine große Hilfe bei der Zusammenarbeit mit Seniorinnen und Senioren.“
Aus einigen Spielkreisen haben sich an der Musikschule Tonleiter inzwischen sechs Ensembles gebildet, die an den Musikschulstandorten und in Gemeinde- und Seniorenheimen proben. „Das Repertoire der Ensembles ist sehr vielseitig und mitunter durchaus anspruchsvoll“, so die Ensembleleiterin. Dies bestätigt sich, wenn man sich die mittlerweile große Bandbreite an Noten für die Veeh-Harfe® ansieht – von einfachen Volksliedern über Kirchenlieder und Choräle, Hits und Evergreens, Beatles, Operettenmelodien bis zu mehrstimmigen klassischen Stücken von Bach, Grieg und Mendelssohn ist alles dabei. Die Vielfältigkeit des Repertoires und der gefällige Klang der Veeh-Harfe® machen die Ensembles zu gern gesehenen und gut gebuchten Gästen bei Konzerten und Veranstaltungen. Auch zügig ausgebuchte Veeh-Harfen®-Kurse, -Workshops und -Wochenendfahrten der Musikschule Tonleiter zeigen, wie beliebt das Instrument inzwischen ist.
Bei der allgemeinen Begeisterung für die Veeh-Harfe® dürfen aber nicht die vergessen werden, für die sie ursprünglich entwickelt wurde. Regelmäßig besucht Gabriele Hellwig daher mit der Veeh-Harfe® Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen; bis vor kurzem beispielsweise das Franz Sales Haus in Essen, eine Einrichtung, die Menschen mit geistiger, psychischer und mehrfacher Behinderung unterstützt. „In meinem Veeh-Harfen®-Kurs dort waren Menschen mit den verschiedensten Beeinträchtigungen in verschiedenen Schweregraden. Das Schwierige bei meiner Arbeit war, mich auf die Spieler*innen einzustellen, sie dort abzuholen, wo sie mit ihrem Können standen und dann alle zusammenzubringen. Ohne Betreuer*innen, die dabei unterstützen, ist so ein Projekt nicht zu denken. Jede Kursstunde ist anders, die Befindlichkeiten ändern sich ständig – darauf muss man sich einlassen. Umso schöner ist es dann zu sehen, wie viel Spaß die Menschen an der Veeh-Harfe® haben, auch wenn die Fortschritte noch so klein sind.“
Da Gabriele Hellwig und die übrigen Musikgeragog*innen die vielen Anfragen nach Kursen von Pflegeeinrichtungen, Seniorenheimen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen längst nicht mehr bedienen können, bieten sie nun auch Inhouse-Schulungen an, um die Mitarbeiter*innen im Umgang mit der Veeh-Harfe® zu schulen und zu zeigen, wie sie eingesetzt werden kann.
In der Musikschule Tonleiter sind die Veeh-Harfen® verklungen. Aufgemuntert, noch immer beseelt vom Spielen und freudestrahlend kommen die Teilnehmerinnen aus dem Kurs. Die zwei Wochen bis zur nächsten Probe werden lang …
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