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Musikalische Exzellenz oder exzellent ins musikalische Abseits? – Teil 2

Zweiter Teil des Interviews über die musikpädagogische Ausbildungssituation in Deutschland

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „üben und musizieren“ erschien der Artikel „Künstlerische Exzellenz – Elementare Notwendigkeit oder elitärer Fetisch?“. Die beiden Autoren Helge Harding und Wendelin Bitzan setzen sich darin mit der Situation der klassischen Musikbranche auseinander. Sie hinterfragen die Ausbildungssituation an Musikschulen und Musikhochschulen, die Notwendigkeit und gesellschaftliche Relevanz des Erreichens musikalischer Höchstleistungen, diskutieren mögliche Qualitätsstandards und -kontrollen und werfen einen Blick hinter die Kulissen.

MSI hat sich mit den Autoren getroffen, um gemeinsam mit ihnen die aktuelle Musikausbildungs-Kultur in Deutschland zu beleuchten. Teil eins des Interviews erschien am Dienstag, 3. April. Heute erscheint der Teil zwei.

msi: An Musikhochschulen scheinen mir die Fächer Instrumentalpädagogik und Schulmusik weniger wichtig genommen zu werden. Die Studiengänge fördern zumeist eine solistische Ausbildung und richten sich weniger an die Studierenden, die dann in der Praxis unterrichten wollen. Woran liegt das?

Wendelin Bitzan: Ich denke, das hat viel mit Prestige zu tun. Die beste Außenwirkung haben nun mal die Solistenklassen – mit deren Erfolgen können sich Hochschulen öffentlichkeitswirksam schmücken. In Berlin hat man mit den zwei Musikhochschulen einen guten Vergleich: die Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ (HfM) hat sich ganz klar die solistische Ausbildung auf die Fahnen geschrieben. An der Universität der Künste (UdK) gibt es eine größere Vielfalt an Studienmöglichkeiten. Man kann dort auch Schulmusik, Kirchenmusik, Tonmeister, musikpädagogische Fächer studieren. Aber auch hier ist das Verhältnis zwischen den gerade genannten Studiengängen und der Solistenausbildung defizitär: zu der Zeit, als ich studiert habe, kamen etwa drei Studienplätze in der künstlerischen Ausbildung auf einen in der Instrumentalpädagogik. Für mich wäre das Verhältnis genau umgekehrt anzustreben.

Helge Harding: Das wäre ideal. Denn die derzeitigen Verhältnisse gehen an der gesellschaftlichen Realität vorbei. Wir haben einen eklatanten Mangel an ausgebildeten Schulmusikern. Die Studienplätze werden aber nur zögerlich erhöht.

Elementare Musikerziehung findet statt, auch an der Universität der Künste, ist aber ein marginaler Studiengang, ebenfalls im Gegensatz zur gesellschaftlichen Bedeutung und der Nachfrage. Instrumentalpädagogik ist in dieser Hinsicht sicherlich der am schlechtesten aufgestellte Studiengang, was auch die Wertigkeit von Pädagogik innerhalb des Hochschulsystems und in der öffentlichen Wahrnehmung zeigt, ganz nach dem Motto: unterrichten kann jeder.

Wendelin Bitzan: Wenn man es ganz zugespitzt formulieren möchte, könnte man sagen, dass man an den Hochschulen deutlich weniger Exzellenzorientierung bräuchte, aber dafür mehr davon in allem, was darauf hinführt, also in der Musikschul- und Schulausbildung. So wie es im Moment ist, passen die Strukturen nicht zusammen.

msi: Angenommen, wir hätten eine gute Hochschulausbildung, kann man einen jungen Menschen heute ruhigen Gewissens ins Berufsleben eines Musikpädagogen schicken?

Wendelin Bitzan: Auf jeden Fall. Ich denke, wenn jemand schon früh weiß, dass er oder sie Musikpädagoge/in werden möchte, dann ist es genau das, worin man die Jugendlichen bestärken sollte. Ich finde es toll, wenn jemand im Schulalter sagt: „Ich möchte Musiklehrer werden.“ Allerdings bin ich eher skeptisch, wenn jemand bereits sehr früh den Anspruch hat, Orchestermusiker oder gar Solist werden zu wollen. Natürlich ist auch das eine Perspektive, aber eine, die viel mehr Durchsetzungsvermögen braucht. Und man sollte sich bewusst sein, dass man sich da auf einen haarsträubenden Arbeitsmarkt begibt.

Wendelin Bitzan in der Bundesgeschäftsstelle des Bundesverbandes der Freien Musikschulen in Berlin (Foto: Frank Korte)
Wendelin Bitzan in der Bundesgeschäftsstelle des Bundesverbandes der Freien Musikschulen in Berlin (Foto: Frank Korte)

Drückt sich die Wertschätzung und Anerkennung des Berufsstandes „Musikpädagoge/in“ in der Gesellschaft aus? Immer wieder liest und hört man von zum Beispiel MusikschulpädagogInnen, die hart an der Existenzgrenze leben.

Wendelin Bitzan: Ich glaube, die mangelnde Wertschätzung für alles, was nicht glanzvolles Solistentum ist, beginnt schon an der Hochschule, vielleicht sogar eher. Das geht zum Teil auch von den Lehrenden aus, die möglicherweise sagen, dass Nebenfächer (also pädagogische Veranstaltungen, Musiktheorie, Berufskunde) weniger wichtig seien. Dies wird vielleicht gar nicht offen formuliert, sondern implizit vermittelt – und dann entsteht ein Fokus auf das Hauptfach, der so stark ist, dass man schon von einer Art Tunnelblick sprechen könnte. Das Verrückte ist ja, dass die Leute auf dem Arbeitsmarkt dann doch im gleichen Boot sitzen, ob sie nun rein künstlerisch oder künstlerisch und pädagogisch ausgebildet worden sind – es sei denn, sie haben ein Schulmusikstudium gemacht, dann haben sie einen sicheren Arbeitsplatz. Das ist im Grunde der einzige Ausweg, um dem Prekariat, das man im Musikbereich überall findet, zu entgehen.

Helge Harding: Die Einkommenssituation ist nicht toll und wird zumindest nicht besser, um das mal vorsichtig zu formulieren. Ich halte es dennoch nach wie vor für möglich, dass man sich als Musikpädagoge gut orientieren und auf dem Markt positionieren kann. Kulturelle Bildung ist nachgefragt wie nie zuvor. Ich denke, wir sollten unsere Stärken in den Fokus rücken und unsere Qualifikation in den Mittelpunkt stellen. Die jahrelange Ausbildung, die nötig ist, um überhaupt ein Studium zum Instrumentalpädagogen aufnehmen zu können, das ist eine extrem hohe Qualifikation. Diese müssten wir auch monetär abbilden können. Das geht aber eben innerhalb der bestehenden Systeme nicht.

Helge Harding in der Bundesgeschäftsstelle des Bundesverbandes der Freien Musikschulen in Berlin (Foto: Frank Korte)
Helge Harding in der Bundesgeschäftsstelle des Bundesverbandes der Freien Musikschulen in Berlin (Foto: Frank Korte)

Müsste man Dinge wie Marketing und Themen rund um die Freiberuflichkeit nicht mit in das Studium einfließen lassen, um das Bewusstsein des Berufstandes und das Know-how der Wirtschaftlichkeit zu erlernen?

Wendelin Bitzan: Ja, ich sehe das in der Verantwortung der Hochschulen. Eigentlich müssten die Curricula entsprechend angepasst werden. Wir haben eine Arbeitsmarktsituation, in der die wenigsten Absolventen – abgesehen von den Schulmusikern – noch in Festanstellungen landen. Man kann also sagen, dass Musikhochschulen ihre Absolventen nicht hinreichend auf die Berufslaufbahn vorbereiten.

Das fängt bei ganz elementaren Sachen an: Was kann ich als Freiberufler überhaupt an Honorar verlangen? Wie positioniere ich mich auf dem Arbeitsmarkt? Wie stelle ich mich in der Öffentlichkeit? All dies wird oft nur in fakultativen Lehrangeboten vermittelt. An der UdK gibt es zum Beispiel ein „Career Center“ mit Seminarangeboten zu finanziellen Themen, zu Steuerrecht, zur Künstlersozialkasse. Das sind alles Themen, die meiner Meinung nach aber ins feste Curriculum gehören.

Wie könnte man die klassische Musik wieder für alle zugänglich machen, ohne sich anzubiedern?

Helge Harding: Ich bin der Meinung, dass wir nur dann eine Chance haben, wenn wir uns trauen, das in den Fokus zu stellen, was klassische Musik ausmacht. Das ist in meinen Augen – wie eingangs erwähnt – eine einzigartige Differenziertheit der Klänge inklusive Stille bis hin zu ohrenbetäubenden, orchestralen Klängen. Ich denke beispielsweise an die „Turangalîla-Sinfonie“ von Olivier Messiaen oder an die „Sinfonie der Tausend“ von Gustav Mahler und ähnliche Mammutwerke, die eine Vielzahl von Akteuren auf der Bühne versammeln und für Gänsehaut-Momente sorgen. Wenn man diese großen musikalischen Momente erlebt, vergisst man sie nicht mehr. Das ist die Kraft der Musik, die leider oft genug auf der Strecke bleibt. Auf der Suche nach neuen Vermittlungsmöglichkeiten wird meinem Eindruck nach heute ziemlich viel an der Verpackung gebastelt und weniger am Inhalt orientiert gearbeitet.

Wendelin Bitzan: Richtig, es muss um Inhalte und nicht um die Art der Vermittlung gehen. Es gibt bereits viele Ideen, wie man Zielgruppen erreichen kann, die sonst nicht ohne weiteres mit klassischer Musikkultur in Berührung kommen – aber entscheidend ist immer noch, was an Musik bei den Hörenden ankommt, ohne dass vorher eine Filterung stattgefunden hat. Mit zu viel Verpackung bekämen wir wieder nur einen sehr eingeschränkten Blick auf das Ganze.

Vielen Dank für das Gespräch.

Hier können Sie Teil 1 des Interviews lesen.

Helge Harding ist Gast bei der Frankfurter Musikmesse. Am Samstag, 14. April um 11 Uhr hält er einen Vortrag zum Thema „Musikausbildung – Zukunftsvisionen“ und stellt sich im Anschluss den Fragen unserer MSI-Redakteurin Susann Krieger sowie des Publikums.

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Susann Krieger studierte Korrepetiton/ Musiktheater (HfM Dresden) und Rundfunk-Musikjournalismus (HfM Karlsruhe). Sie arbeitet als freie Autorin für verschiedene ARD-Rundfunkanstalten (u.a. WDR, BR, MDR, SWR) und unterrichtet Klavier. 2017 erhielt sie den Deutschen Radiopreis für die beste Reportage und wurde für den Prix Europa nominiert.

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