Ärger mit dem Nachbarn – Diese Rechte haben Sie!
Eines der zentralen Themen unserer Fachzeitschrift musikschule intern (msi) ist immer wieder der Brennpunkt „Schallschutz“. Eine Chemie-Fabrik erzeugt Gestank, ein Sägewerk vor allem Lärm und Feinstaub, und eine Musikschule – nun ja, eine Musikschule erzeugt Ärger. „Ärger mit dem Nachbarn“ heißt dieser Artikel, der sich vorwiegend um die provokant formulierte Frage dreht „Was muss sich der Nachbar bieten lassen?“, oder etwas weniger polarisierend: „Was muss eine Musikschule unternehmen, um keinen Ärger zu bekommen?“.
Bereits seit unserer allerersten Ausgabe von msi haben wir das Thema Schallschutz sehr umfangreich behandelt, trotzdem erreichen uns immer noch jede Woche neue Anfragen von Musikschulleitern und Musiklehrern zu diesem Thema mit den immer gleichen Fragen. msi-Redakteur Michael Herrmann hat zusammen mit dem Immissionsschutz-Experten Heinz Zehnter die zentralen Fragen zum Schallschutz zusammengefasst und stellt Ihnen, lieber Leser, an dieser Stelle einen umfassenden Überblick zusammen.
Wer kennt sie nicht, diese lästigen Nachbarn, die mal mehr und mal weniger freundlich deutlich machen, dass sie sich durch Ihren Musikunterricht belästigt fühlen? In den vergangenen Ausgaben haben wir immer wieder darüber geschrieben, was Sie tun können, um Schall-Emissionen möglichst gering zu halten, beispielsweise Schallschutz-Türen im Selbstbau oder schallgedämmte Räume. Dass Eierkartons vollkommen überflüssig sind und nahezu keine messbare Schalldämmung bewirken, sollte der aufmerksame msi-Leser ebenfalls schon gelernt haben. Jetzt aber informieren wir Sie, was Sie tun müssen, um auf der rechtlich sicheren Seite zu bleiben.
Zunächst einmal sei gesagt, dass die Grenzwerte für die Lärmbelästigung aus gewerblicher Tätigkeit (also Musikunterricht in einer Musikschule – nicht Musikunterricht zu Hause!) in der sogenannten „TA Lärm“ (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm) festgelegt ist. Für Musikunterricht zu Hause gelten andere Richtwerte – diese können von den Gemeindeverwaltungen individuell festgelegt werden und sind oft äußerst streng. Wer seine Musikschule allerdings gewerblich in einem Industriegebiet, einem Gewerbegebiet oder in einem Mischgebiet betreibt, wird anhand der TA Lärm beurteilt. In diesem Artikel geht es also vorwiegend um die TA Lärm und betrachtet die Punkte, in wieweit sie Musikschulen betrifft.
Die TA Lärm ist übrigens im Internet erhältlich, wer einmal einen Abend lang wirklich überhaupt nichts Besseres zu tun hat, kann sich unter https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_26081998_IG19980826.htm den Gesetzestext im Wortlaut zu Gemüte führen. Eine gute, leicht lesbare und verständliche Zusammenfassung finden Sie auf Wikipedia unter https://de.wikipedia.org/wiki/Technische_Anleitung_zum_Schutz_gegen_L%C3%A4rm
Die TA Lärm gilt übrigens nicht für sogenannte Anlagen für soziale Zwecke. Dies sind in der Regel Asylbewerberheime, Krankenhäuser und Altenheime. Ob hierunter auch als gemeinnützig anerkannte Musikschulen (gemeinnützige Vereine oder gemeinnützige GmbHs) fallen, muss im Einzelfall ein Gericht entscheiden – die Chancen hierfür stehen ganz gut, wie diverse Urteile in der Vergangenheit zeigen. Für diesen Artikel nehmen wir einmal an, dass die Musikschule nicht als Anlage für soziale Zwecke eingestuft wird.
Das Maß aller Dinge: Die TA Lärm
Die TA Lärm regelt relativ umfassend, welche Lautstärkewerte an welchen Orten auftreten dürfen, und – was eigentlich noch viel wichtiger ist – wie diese Werte gemessen werden. Zunächst unterscheidet die TA Lärm dahingehend, in welchem Gebiet Ihre Musikschule steht. Dies ist durch den jeweils gültigen Bebauungs- oder Flächennutzungsplan geregelt. In der folgenden Tabelle sehen Sie relativ übersichtlich, welche Grenzwerte für welchen Gebietscharakter festgelegt sind:
Ziffer TA Lärm | Ausweisung | Immissionsrichtwert tagsüber (6:00 bis 22:00 Uhr) | Immissionsrichtwert nachts (22:00 bis 6:00 Uhr) |
6.1 a | Industriegebiete | 70 dB(A) | 70 dB(A) |
6.1 b | Gewerbegebiete | 65 dB(A) | 50 dB(A) |
6.1 c | Kern-, Dorf- und Mischgebiete | 60 dB(A) | 45 dB(A) |
6.1 d | Allgemeine Wohngebiete | 55 dB(A) | 40 dB(A) |
6.1 e | Reine Wohngebiete | 50 dB(A) | 35 dB(A) |
6.1 f | Kurgebiete, Krankenhäuser und Pflegeanstalten | 45 dB(A) | 35 dB(A) |
Diese Tabelle ist allerdings nicht die einzige Richtline, nach der Sie sich richten müssen. Genau genommen gibt es noch sehr viele Aspekte, die in diese Lärm-Problematik hineinspielen.
Gebiets-Charakter und -Ausweisung
Beginnen wir mit dem Gebiets-Charakter: Wir benutzen bewusst die Formulierung „Gebiets-Charakter“ und nicht „Gebiets-Ausweisung“. Denn der Charakter und die Ausweisung unterscheiden sich in der Praxis häufig. Zur Erklärung: Angenommen, ein Gebiet ist als Industriegebiet ausgewiesen, tatsächlich aber befinden sich in diesem Gebiet sehr viele Wohnungen, was in der Praxis leider sehr häufig vorkommt. In diesem Fall entspricht der Charakter des Gebiets eher einem Gewerbe- oder möglicherweise sogar einem Mischgebiet, was konkret bedeutet, dass Sie für Ihre Beurteilung dort auch die entsprechenden Richtwerte beachten sollten, selbst wenn im Bebauungs- und Flächennutzungsplan steht, es handle sich um ein Industriegebiet.
Kompliziert wird die Sache erst, wenn es im Streitfall vor Gericht geht: Dort werden zunächst die Richtwerte aus dem Bebauungsplan veranschlagt (in unserem Beispiel also die Richtwerte für Industriegebiete). Gleichzeitig hat der Gegner aber die Möglichkeit, Klage einzureichen, damit das Industriegebiet zu einem Gewerbe- oder Mischgebiet erklärt wird. Sollte er damit Erfolg haben, wird tatsächlich das gesamte Gebiet neu ausgewiesen und damit werden die Immissions-Richtwerte ebenfalls verändert. So eine Klage einzureichen kostet aber sehr viel Geld, Fachwissen und Zeit, und ist nicht unbedingt mit Erfolg gekrönt – der gegnerische Nachbar muss also schon ein äußerst zäher Zeitgenosse sein oder zumindest erheblich in seiner Lebensqualität beeinträchtigt werden um ihn zu derartigen Schritten zu bewegen. Als Gegner hat er dann nämlich nicht nur die betroffene Musikschule, sondern sämtliche Gewerbebetriebe, die in diesem Gebiet ansässig sind, welche wiederum Gegenklage erheben könnten. So ein Rechtsstreit kann sich dann ein paar Jahre hinziehen – dies sind dann möglicherweise auch sehr unangenehme Jahre für Sie, vor allem, da Sie keine Rechtssicherheit haben. Bevor es zur Klage kommt, sollten Sie demzufolge vielleicht durchaus eine gütliche Einigung in Betracht ziehen, was wir im Übrigen immer als beste Lösung dringend empfehlen.
Komplizierte Sache also. Daher gehen wir der Einfachheit halber einfach von dem Gebiets-Charakter aus und nicht von der schriftlichen Ausweisung. Dies ist zwar auf den ersten Blick nachteilig für die Musikschule, schafft aber eine gewisse Sicherheit, da wir ja noch Puffer „nach oben“ haben.
Wenn Sie sich nicht sicher sind, wie der Bebauungsplan für das Grundstück aussieht, in dem Ihre Musikschule beheimatet ist, fragen Sie einfach nach! Im örtlichen Bauamt kann man Ihnen kostenlos und kompetent Auskunft geben. Am Besten vereinbaren Sie einen kurzen Termin beim zuständigen Sachbearbeiter, kommen kurz vorbei und fragen nach dem Bebauungsplan für die Adresse, auf der Ihre Musikschule steht. Das können Sie übrigens auch ohne Probleme tun, wenn Sie nur Mieter der Musikschule sind. Dabei können Sie gleich nachfragen, ob der Charakter dieses Baugebiets dem ausgewiesenen Charakter entspricht, oder ob die Behörden der Meinung sind, das betreffende Baugebiet entspräche inzwischen eher einem anderen Charakter.
Wenn Sie schon bei den Behörden sind, macht es durchaus Sinn, dass Sie gleich ein paar Türen weiter gehen, um bei der Abteilung „Immissionsschutz“ vorbeizuschauen. Diese Abteilung kann Ihnen in der Regel genaue Auskunft darüber geben, ob es für Ihr Grundstück besondere Auflagen geben sollte. Diese gibt es zwar meistens nicht, aber in seltenen Fällen kann es sein, dass ausgerechnet für Ihr Grundstück verringerte Richtwerte gelten, beispielsweise weil das Grundstück Ihrer Musikschule sehr nahe an ein Wohngebiet grenzt oder weil der Nachbar-Betrieb besonders hohe erlaubte Lärm-Emissionswerte vorweisen kann.
Die Ausnahmen: tagsüber und nachts
Natürlich gibt es – wie überall – Ausnahmen von der oben abgebildeten Tabelle. Glücklicherweise sind diese genau geregelt.
Die TA Lärm unterscheidet zunächst zwischen „tagsüber“ und „nachts“. „Tagsüber“ ist definiert als der Zeitraum zwischen 6:00 Uhr morgens und 22:00 Uhr abends, „nachts“ entsprechend von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr. Welche Richtwerte tagsüber und nachts gelten, können Sie der Tabelle von vorhin entnehmen. Allerdings gibt es in Allgemeinen Wohngebieten, reinen Wohngebieten und Kurgebieten einen sogenannten „Ruhezeitenzuschlag“, der an Werktagen von 6:00 Uhr bis 7:00 Uhr und von 20:00 Uhr bis 22:00 Uhr gilt, sowie an Sonn- und Feiertagen von 6:00 Uhr bis 9:00 Uhr, von 13:00 Uhr bis 15:00 Uhr und von 20:00 Uhr bis 22:00 Uhr gilt. Dieser Ruhezeitenzuschlag beträgt noch einmal 6 dB (A), um die der maximale Richtwert reduziert wird.
So wird gemessen
Jetzt wird es spannend: Die eigentliche Messung der Schallpegel wird üblicherweise mit einem dafür geeigneten Gerät vorgenommen. Nur so als kleiner Hinweis: Eine Smartphone-App ist kein geeignetes Gerät. Schallpegel-Messgeräte gibt es bereits im Internet zu kaufen ab etwa 30 Euro, ein qualitativ ausreichendes Gerät sollte schon ab um die 50 Euro zu haben sein, für verlässliche Aussagen sollte man allerdings lieber etwa 100 Euro investieren. Suchen Sie einfach bei Google nach „Schallpegel Messgerät“.
In der Praxis (also im Streitfall) wird natürlich ein Gutachter diese Messung vornehmen, dieser hat dann auch geeignete Geräte dabei. Unser Tipp zum Selbst-Messen richtet sich daher nur an Musikschulleiter, die sich einfach mal informieren möchten, wie laut ihre Musikschule an Nachbars Fenster zu hören ist.
Jetzt kommt eine zentrale Information, die Sie bitte äußerst genau lesen sollten: Der ausschlaggebende Ort, an dem der in der Tabelle genannte Richtwert nicht überschritten werden darf, ist bei bebauten Grundstücken 50 Zentimeter außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes (in der Regel dem Schlafzimmer oder Wohnzimmer). Dies ist ein äußerst wichtiger und vor allem äußerst interessanter Umstand! Es ist also nicht wichtig, wie laut Ihre Schallemissionen im Garten oder auf dem Balkon Ihres Nachbarn sind, sondern nur an dessen Schlafzimmer-Fenster!
Wenn Sie schon einmal mit einem Schallpegel-Messgerät herumgespielt haben, dann können Sie sicherlich ganz gut einschätzen, wie laut 60 dB sind: Ungefähr so laut wie zwei Erwachsene, die sich angeregt mit leicht erhöhter Lautstärke unterhalten. Oder ein Benzin-Rasenmäher aus 10 Metern Entfernung. Oder eine Gruppe aus 10 Menschen, die sich normal unterhalten. So laut darf die Trompete Ihres Trompeten-Schülers in einem Mischgebiet 50 Zentimeter vor dem Schlafzimmer-Fenster Ihres Nachbarn zu hören sein!
Das bedeutet aber auch im Umkehrschluss, dass die Problematik der Lärmbelästigung beim Nachbarn nicht dadurch behoben werden kann, dass Sie Ihrem Nachbarn besonders stark schallisolierende Fenster bezahlen. Denn die Messung findet ja 50 Zentimeter vor dem geöffneten Fenster (egal ob Schallschutz- oder Standard-Fenster!) statt. Ein theoretischer Ausweg aus dieser Situation ist, dass Sie dem Nachbarn eine lautlose Belüftungs- und Klimatisierungsanlage für seine gesamte Wohnung bezahlen, damit die Fenster nicht mehr geöffnet werden müssen. Dies dürfte aber in der Praxis wohl finanziell nicht rentabel sein. Schalldämpfer für die Trompeten und E-Drum-Sets sind da definitiv billiger.
Eine weitere Regelung besagt, dass einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen die Immissionsrichtwerte am Tage um nicht mehr als 30 dB(A) und in der Nacht um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten dürfen. Was das Gesetz unter „kurzzeitig“ versteht, ist Ermessenssache eines Richters, damit ist aber nach dem gesunden Menschenverstand wohl gemeint, dass die Lautstärke wenige Sekunden bis höchstens wenige Minuten lang wie beschrieben überschritten werden darf. Schlagzeug-Unterricht, der ja aus zahlreichen Geräuschspitzen in rascher und dauernder Folge besteht, dürfte mit großer Sicherheit nicht unter diese Ausnahme-Regelung fallen. Eine 30 Minuten andauernde Unterrichts-Stunde dürfte wohl auch nicht als „kurzzeitig“ durchgehen.
Wenn der Nachbar klagt
Wie sieht es jetzt eigentlich aus, wenn ein Nachbar tatsächlich Klage einreicht?
Bevor wir hier auf ein weiteres Procedere eingehen, sei erst einmal der dringende Rat ausgesprochen: Konsultieren Sie in diesem Fall unbedingt einen Anwalt!
Normalerweise könnte der Kläger ein Gutachten beauftragen, das die Lärmbelästigung unabhängig dokumentiert. Ein solches Gutachten kann auch vom Gericht angeordnet werden – der Verlierer in diesem Gerichtsstreit müsste dann die Kosten tragen.
Angenommen, vom Gericht würde im Streitfall ein Gutachter bestellt werden, dann würde dieser eine Dauer-Messung vor dem Fenster des Nachbarn durchführen. Diese Messung geht in der Regel über die Dauer von 16 Stunden, wobei das Ergebnis dann über diesen Zeitraum gemittelt wird. Da in einer Musikschule üblicherweise nur nachmittags bis abends Unterricht stattfindet, wird auch der vermutlich stille Vormittag in die Messung mit einbezogen, was das Endergebnis sehr zu Gunsten der Musikschule verändern dürfte.
Nachts sieht die Sache etwas anders aus: Hier gilt als Beurteilungszeitraum nur die volle Stunde mit dem höchsten Beurteilungspegel, die so genannte „lauteste Stunde“. Auch hier wird der Wert gemittelt, aber nur über eine Stunde, nämlich die besagte lauteste Stunde.
Auf Wikipedia steht diesbezüglich noch ein interessanter ergänzender Satz: „Die Nachtzeit kann bis zu einer Stunde hinausgeschoben oder vorverlegt werden, soweit dieses wegen der besonderen örtlichen oder wegen zwingender betrieblicher Verhältnisse erforderlich ist.“ Dies dürfte Musikschulen zwar weniger betreffen – eher Handwerksbetriebe mit lauter Geräusch-Emission, ist aber nicht uninteressant zu wissen.
Was kann eigentlich schlimmstenfalls passieren, wenn Sie verklagt werden? Diese Frage kann Ihnen im Einzelfall sicherlich Ihr Anwalt am Besten beantworten – pauschal lässt sich das nicht so ohne Weiteres in einen Artikel gießen. Folgende Dinge sind aber denkbar: Zum Einen könnte Ihre Musikschule dazu verklagt werden, Maßnahmen zur Reduzierung des Schalls zu ergreifen. Dazu gehört beispielsweise der Einbau von Schallschutz-Fenstern oder geeigneten Raum-in-Raum Systemen, die eine Schallübertragung zum Nachbarn unmöglich machen. Dies ist sicherlich zunächst einmal sehr ärgerlich und könnte für manche Musikschule das finanzielle Aus bedeuten. Viel dramatischer hingegen wäre die mögliche Variante, dass das Bauamt Ihnen die Nutzung der Räume für Musikunterricht untersagt und Ihnen ein (schlimmstenfalls sofortiges!) Verbot der Ausübung Ihrer Gewerbe-Tätigkeit ausspricht. In diesem Fall müssen Sie tatsächlich von heute auf morgen Ihre Musikschule schließen. Damit dieser Fall allerdings tatsächlich eintritt, muss das Bauamt davon überzeugt sein, dass auch nach der Durchführung von schalldämmenden Maßnahmen die Probleme weiterhin bestehen.
Viel schlimmer: Der Innen-Schall
Der Innen-Schall – oder korrekt ausgedrückt: der Körperschall – ist der Schall, der direkt über die Mauern und den Boden übertragen wird. Dieser ist viel komplizierter zu dämmen und wird in der TA Lärm leider auch viel strenger gehandhabt. Kurzer Rückblick zu den letzten Ausgaben: Körperschall ist der Schall, den Sie hören, wenn Schallwellen nicht über die Luft übertragen werden, sondern über die Mauern. In der Regel sind dies tiefe Bassfrequenzen, beispielsweise die Bass-Drum vom Schlagzeug, oder auch Toms und Snare vom Schlagzeug-Set. Der Schall, der beim Schlag auf eine Bass-Drum erzeugt wird, wird nicht nur über die Luft übertragen, sondern geht zu einem großen Teil direkt in den Boden und wird dann über die Wände übertragen. Das ist der Grund, warum Sie am anderen Ende des Gebäudes nur die Bass-Drum hören und nicht die Beckenschläge, obwohl Messungen im Unterrichtsraum ergeben haben, dass die Becken genau so laut sind wie die Bass-Drum und die Snare.
Leider sind die häufigsten Belästigungen durch Lärm von Musikschulen auf Schlagzeuger zurückzuführen, was vor allem auf die Körperschall-Problematik zurückzuführen ist.
Für den Körperschall gelten sehr strenge Richtwerte, die auch unabhängig von der jeweiligen Gebiets-Ausweisung sind. Tagsüber darf der Lärm zum schutzbedürftigen Raum des Nachbarn über Körperschall höchstens 35 dB (A) betragen, nachts höchstens 25 dB (A). Diese Werte sind extrem niedrig! Als Orientierung im Vergleich kann man sagen, eine ruhige Bücherei hat in der Regel einen Geräuschpegel von 40 dB (A), Flüstern entspricht etwa 30 dB (A). Am ehesten entspricht 35 dB (A) einem Blätter-Rascheln im Wald. Das Schlagzeug auf diese Lautstärke zu reduzieren erfordert offensichtlich sehr viel Aufwand. 25 dB (A) entspricht in etwa dem eigenen Atem-Geräusch.
Auch hier sind einzelne kurzzeitige Überschreitungen erlaubt, allerdings dürfen diese höchstens 10 dB (A) betragen.
Genau hier liegt übrigens das Hauptproblem: Den Schall, der sich über die Luft überträgt, kann eine Musikschule bis zum Nachbarn höchst einfach dämmen: Fenster zu – fertig. Das sollte in 99 Prozent der Fälle ausreichen. Viel schwieriger ist es, den Körperschall zu dämmen. Dieser erfordert sehr viel Aufwand, wie wir in den vergangenen Ausgaben immer wieder ausführlich beschreiben. Wie das genau geht, lässt sich mit wenigen Worten so beschreiben: Entkoppelung und Masse. In den nächsten Ausgaben von msi werden wir das Thema sicherlich nochmal aufgreifen.
Auch problematisch: Parkverkehr
Noch ein Punkt, der zu berücksichtigen ist, ist der sogenannte An- und Abfahrtsverkehr der Autos von Musikschul-Eltern oder auch „Parkverkehr“ genannt. Die Sache ist die: An- und Abfahrende Autos verursachen ebenfalls Lärm, der beim Nachbarn störend wirken kann. Sofern sich Ihre Musikschule in einem eher ruhigen Wohngebiet befindet, kann dieser Lärm durchaus bereits ausreichend sein, um die Behörden zu einer Nutzungsuntersagung Ihrer Musikschule zu bewegen. Unglücklicherweise wird nämlich bei einem Schallschutz-Gutachten nicht nur der Schall betrachtet, den die Musikschule unmittelbar erzeugt (durch hörbare Instrumente, Bandproben und so weiter), sondern auch der Schall, den der Autoverkehr bei der An- und Abfahrt üblicherweise erzeugt. Dieser ermittelte Wert wird dann zu den gemessenen Werten der unmittelbaren Schall-Emission (beispielsweise Trompete oder Schlagzeug) addiert. In einem Wohngebiet kann es daher durchaus möglich sein, dass selbst dann, wenn die Musikschule nicht den geringsten Laut nach draußen dringen lässt, die Nutzung der Räume für Musikunterricht untersagt werden kann, nur weil der an- und abfahrende Autoverkehr gewisse Lautstärke-Grenzen überschreitet. Mit anderen Worten: Eine Musikschule, die sich in einem reinen Wohngebiet befindet, bewegt sich unter Umständen auf gefährlichem Terrain. In Misch-, Gewerbe- oder Industriegebieten hingegen können Sie sich in diesem Punkt wohl eher entspannen.
Einen Zeitungsbericht über eine Musikschule, die ihr Gebäude in einem Wohngebiet hatte, und der genau dies widerfahren ist, finden Sie im Internet unter https://msi.direct/20144_1
Keine Angst
Trotz all dieser aufgezeigten dramatischen Situationen, was alles im allerschlimmsten Fall passieren könnte, müssen Sie als Musikschule vermutlich eher keine Angst haben, wenn plötzlich der Nachbar mit hochrotem Kopf vor Ihnen steht. Um Ihnen das Leben schwer zu machen, benötigt Ihr Nachbar durchaus einiges an Energie. Doch unterschätzen Sie Ihren Nachbarn nicht: sofern er über ausreichenden Willen verfügt, kann er Klage erheben, gerichtlich die Anfertigung von Gutachten erwirken, das Bauamt gegen Sie sensibilisieren und vieles mehr.
Ganz allgemein kann man sagen, solche Widrigkeiten sind in jedem Fall schlecht für Ihr Geschäft und für Ihren Ruf, besonders sobald der Nachbar die Presse einschaltet, was aus Public-Relations-Sicht ein Super-GAU für Sie wäre, oder bei den angrenzenden Nachbarn gegen Sie Stimmung macht.
Also ist es immer eine gute Idee, auf die Sorgen und Beschwerden des Nachbarn einzugehen und mit ihm eine möglichst gute Beziehung zu pflegen. Oft hilft es enorm, Kooperationsbereitschaft und guten Willen zu zeigen – und ihn dann auch wirklich zu haben. In Bayern sagt man dazu: Leben und leben lassen.
Rein strategisch empfehlen wir Ihnen, zu den Nachbarn ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen, sofern möglich, und dieses zu pflegen. Schauen Sie doch einfach mal beim Nachbarn vorbei und fragen Sie ihn, ob ihn etwas an Ihrer Musikschule stört, führen Sie immer mal wieder Smalltalk und vor allem: bleiben Sie immer freundlich und machen Sie Zugeständnisse.
Und mal ganz ehrlich: Wenn die Räume gut gedämmt sind, haben auch Sie und Ihre Lehrer was davon.
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