Was die geplante Steuererleichterung für ältere Erwerbstätige für Musikpädagoginnen und Musikpädagogen bedeutet
Der Fachkräftemangel macht auch vor der Musikpädagogik nicht halt: Viele Musikschulen suchen händeringend qualifizierte Lehrkräfte. Zugleich möchten zahlreiche erfahrene Pädagoginnen und Pädagogen auch im Rentenalter weiter unterrichten – oft in selbstständiger oder freiberuflicher Tätigkeit.
Doch gerade sie sollen von der geplanten Aktivrente der Bundesregierung nicht profitieren. Das geplante Modell sieht Steuererleichterungen ausschließlich für ältere abhängig Beschäftigte vor. Für Selbstständige und Freiberufler, zu denen die Mehrheit der Musiklehrkräfte zählt, ist keine Entlastung vorgesehen.
Diese Ungleichbehandlung ruft deutliche Kritik hervor – von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) ebenso wie vom Wissenschaftlichen Dienst (WD) des Deutschen Bundestages.
Ungleichbehandlung: Solo-Selbstständige bleiben außen vor
Ziel der Aktivrente ist es, ältere Erwerbstätige steuerlich zu entlasten, wenn sie über das reguläre Rentenalter hinaus arbeiten. Doch laut Entwurf gilt diese Begünstigung nur für Angestellte.
Die BAGSV sieht darin einen klaren Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung. Solo-Selbstständige, Freiberufler und Kleinstunternehmer – also auch freie Musikpädagoginnen und Musikpädagogen – würden ausdrücklich ausgeschlossen.
„Die Aktivrente in ihrer derzeitigen Form schafft neue Ungleichheiten und ignoriert den Beitrag, den Selbstständige für den Arbeitsmarkt leisten“, so die BAGSV in ihrer Stellungnahme.
Auch der Wissenschaftliche Dienst bestätigt diese Einschätzung. Die Ungleichbehandlung zwischen Angestellten und Selbstständigen könne gegen Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz verstoßen, der die steuerliche Gleichbehandlung bei vergleichbarer Leistungsfähigkeit garantiert.
Gerade mit Blick auf den Fachkräftemangel in Bildung und Kultur sei die Beschränkung auf Angestellte sachlich kaum zu rechtfertigen, heißt es im Gutachten. Selbstständige Fachkräfte seien „schnell und flexibel einsetzbar“ und könnten entscheidend zur Aufrechterhaltung von Unterrichtsangeboten beitragen.
Auswirkungen auf die Musikschulpraxis
In der Musikpädagogik zeigt sich die Problematik besonders deutlich. Viele kommunale Musikschulen beschäftigen Lehrkräfte sowohl festangestellt als auch auf Honorarbasis.
Sollte die Aktivrente wie geplant in Kraft treten, würden ältere angestellte Musiklehrkräfte steuerlich entlastet, während selbstständige Kolleginnen und Kollegen leer ausgingen.
Für Musikschulleitungen bedeutet das eine ungleiche Behandlung innerhalb des Kollegiums – und möglicherweise neue Spannungen bei der Personalplanung.
Zudem könnte die Regelung den Anreiz verringern, als selbstständige Lehrkraft über das Rentenalter hinaus tätig zu bleiben. Gerade diese Gruppe trägt vielerorts wesentlich dazu bei, Unterrichtsausfälle zu vermeiden und musikalische Bildung flächendeckend zu sichern.
Kritik an Steuerlogik und Verfassungsmäßigkeit
Der Wissenschaftliche Dienst ordnet die Aktivrente als steuerliche Lenkungsnorm ein, die von zentralen Prinzipien des Steuerrechts abweicht. Das Leistungsfähigkeitsprinzip – wonach die Steuerlast sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit richtet – werde durch die selektive Steuerbefreiung älterer Arbeitnehmer verletzt.
Da die Steuerentlastung mit steigendem Einkommen zunimmt, profitieren Besserverdienende überproportional, während Geringverdienende kaum Vorteile hätten. Der WD spricht von einer möglichen Verletzung der vertikalen Steuergerechtigkeit.
Auch das Alter als Differenzierungskriterium wird kritisch gesehen: Es handle sich um ein unverfügbares persönliches Merkmal, das im Einkommensteuerrecht nur in Ausnahmefällen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertige.
Hohe Kosten, fraglicher Nutzen
Ökonomisch fällt die Bewertung ebenfalls zurückhaltend aus. Nach Berechnungen der BAGSV könnte die Aktivrente jährlich rund 890 Millionen Euro kosten – bei einem erwarteten Beschäftigungseffekt von etwa 25.000 zusätzlichen Angestelltenverhältnissen.
Das entspräche 35.600 Euro Steuermindereinnahmen pro zusätzlich gewonnener Arbeitskraft. Aus Sicht der BAGSV ist das ein sehr hoher Preis für einen vergleichsweise geringen Effekt.
Der Wissenschaftliche Dienst fordert, dass die Bundesregierung die Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nachweisen müsse. Derzeit sei unklar, ob die Aktivrente tatsächlich zur Fachkräftesicherung beiträgt.
Als Alternativen schlagen beide Institutionen unter anderem gezielte Zuschüsse, Anpassungen bei der Sozialversicherung oder Steuerermäßigungen für alle Erwerbsformen vor.
Verfahren und Evaluation
Die BAGSV bemängelt zudem die kurze Frist zur Abgabe der Stellungnahme – sie betrug nur einen Tag. Auch im weiteren Verlauf befürchten die Verbände eine unzureichende Einbindung betroffener Gruppen, darunter die große Zahl selbstständiger Kulturschaffender.
Zudem sei die geplante Evaluierung nach zwei Jahren kaum aussagekräftig, da die Zahl erwerbstätiger Rentner ohnehin steige. Der Effekt der Aktivrente lasse sich daher schwer isolieren.
Fazit: Selbstständige Musikpädagogen fordern Gleichbehandlung
Für Honrarkräfte an Musikschulen hätte die Aktivrente in ihrer derzeitigen Form keinen spürbaren Nutzen – im Gegenteil: Sie verstärkt bestehende Unterschiede zwischen festangestellten und selbstständigen Lehrkräften.
Sowohl die BAGSV als auch der Wissenschaftliche Dienst fordern deshalb eine Gleichstellung selbstständiger und angestellter Erwerbstätigkeit bei steuerlichen Anreizen.
Wie die Bundesregierung auf die Kritik reagiert, bleibt offen. Für die Musikpädagogik jedoch steht fest: Eine gerechte Lösung müsste alle Lehrkräfte einbeziehen, die auch jenseits des Rentenalters ihre Erfahrung und Kompetenz in den Unterricht einbringen möchten.
Wer sich für eine gerechte Aktivrente einsetzen möchte, kann dies hier tun:
Petition: Aktivrente auch für Selbstständige: Wir sind keine Erwerbstätigen zweiter Klasse!
Unter diesem Titel hat der Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD) eine Petition gestartet: https://www.openpetition.de/aktivrente
„Wir fordern die Einführung einer fairen Aktivrente für Angestellte UND Selbstständige. Nur so wird von der Aktivrente ein kraftvoller Impuls für die deutsche Wirtschaft ausgehen.“ ist die klare Forderung.
Quellen
- Stellungnahme der BAGSV zur Aktivrente: https://www.bagsv.de/wp-content/uploads/2025/10/251009_Stellungnahme_Aktivrentengesetz_final.pdf
- Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, Fachbereich WD 4
Titel: Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Einkommensteuerbefreiung (sogenannte Aktivrente): WD-4-013-25



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