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Musikschulen in der Corona-Krise

Interview mit Thomas Rolke, Musikschulleiter in Mannheim

Die Musikschulen befinden sich mitten im zweiten Lockdown, die Sorgen werden immer größer und einen klaren Fahrplan zurück zum Präsenzunterricht gibt es derzeit leider auch noch nicht. Thomas Rolke führt in Mannheim eine der größten privaten Musikschulen im süddeutschen Raum. Er ist als Landesdelegierter von Baden-Württemberg im bdfm tätig und führt in dieser Position direkte Gespräche auf der politischen Ebene. Mit ihm wollen wir heute über die angespannte Situation der freien Musikschulen und deren Perspektiven sprechen.

msi: Im letzten Jahr mussten sich die freien Musikschulen schnell an die neue Situation anpassen und einiges verkraften, was gab es an positiven Erlebnissen bei Ihnen?

Thomas Rolke: Sehr positiv war auf alle Fälle, dass rund 90% unserer Schülerschaft beim Onlineunterricht mitgemacht hat. Der Wille etwas Neues auszuprobieren und solidarisch mit uns zu sein, war glücklicherweise beim Großteil unserer Schülerschaft sehr ausgeprägt. Somit konnten wir den Unterrichtsbetrieb innerhalb von zwei Wochen komplett und erfolgreich auf den Onlineunterricht umstellen.

Wie unterscheidet sich der zweite Lockdown vom ersten Lockdown an Ihrer Musikschule?

Die Umstellung auf den Onlineunterricht ging im Vergleich zum ersten Lockdown noch schneller und reibungsloser, da ja alle bereits eine gewisse Routine und Erfahrung hatten. Man merkt jetzt aber ganz deutlich, dass sich so langsam eine gewisse Onlinemüdigkeit bei allen einstellt. Besonders gilt das für die Altersgruppe der Grundschüler. Ganz klar geht der zweite Lockdown auch viel stärker an die wirtschaftliche Substanz der Musikschulen, da sich die Schülerzahlen langsam aber sicher nach unten entwickeln und es gleichzeitig nur einen Bruchteil an Neuanmeldungen im Vergleich zu normalen Zeiten gibt. Letztlich warten alle darauf, so schnell wie möglich wieder in den Normalbetrieb zurückkehren zu dürfen.

Wie groß schätzen Sie den Schaden ein, der durch den ersten und zweiten Lockdown bisher entstanden ist?

Durch die sinkenden Schülerzahlen haben wir bisher seit den Corona-Beschränkungen Umsatzeinbußen in Höhe von ca. 30% erlitten. Von ähnlichen Zahlen berichten auch andere Musikschulen. Vor allem die kleineren Musikschulen kommen bei solchen Umsatzrückgängen schneller in einen kritischen Bereich, ihre Fixkosten durch die Unterrichtsgebühren noch decken zu können.

Hat die Coronakrise die freien Musikschulen nachhaltig verändert?

Ganz klar ja. Die Digitalisierung hat Einzug in die Musikschulen erhalten, was ja durchaus auch viele Vorteile mit sich bringt. Der Onlineunterricht wird sicher fester Bestandteil bleiben. Nicht als die Hauptunterrichtsform, aber als Ergänzung oder Ausweichmöglichkeit, zum Beispiel wenn Schüler oder Lehrer einen Erkältungsinfekt haben oder man mehr zeitliche Flexibilität benötigt. Man muss zudem abwarten, wie sich die Arbeit in größeren Gruppen wie z.B. in der musikalischen Früherziehung oder bei den Ensembles zukünftig überhaupt gestalten lässt und wie sich die Nachfrage in diesem Bereich entwickeln werden.

In welchen Fachbereichen der Musikschulen gibt es aufgrund der derzeitigen Situation die größten Probleme?

Überall dort, wo im Unterricht viele Menschen zusammenkommen, also in der musikalischen Früherziehung, im Ensemblebereich und bei den Orchestern. Hier ist es auch nur schwer möglich auf Onlineunterricht auszuweichen und in diesen Bereichen wird es wahrscheinlich auch am längsten dauern, bis man hier wieder in den Normalbetrieb kommen kann. Auch im Bereich Gesangs- und Bläserunterricht wird die Rückkehr zum Alltag wohl länger dauern, denn auch hier könnte es größere Vorbehalte oder gewisse Ängste geben, was sich zumindest temporär auf die Nachfrage auswirken wird.

Foto Thomas Rolke
Thomas Rolke

Womit haben die privaten Musikschulen ganz allgemein derzeit am meisten zu kämpfen?

Sicherlich mit der Unabsehbarkeit der Entwicklung des Pandemieverlaufs und auch mit der Unklarheit darüber, was sich nach der Bewältigung der Coronakrise alles verändert haben wird. Der Umstand, dass es, Stand heute, überhaupt keine klare Öffnungsperspektive für die Musikschulen gibt, kommt dann noch erschwerend hinzu.

Ab wann sollten Ihrer Meinung nach Musikschulen wieder Präsenzunterricht anbieten dürfen?

In Baden-Württemberg werden die Musikschulen erfreulicherweise den Bildungseinrichtungen zugerechnet. Somit sollten diese dann zumindest dort auch wieder öffnen dürfen, wo es Öffnungen an den Regelschulen gibt. Allerdings muss klar sein, dass der Unterrichtsbetrieb an den Musikschulen keineswegs mit dem Unterrichtsbetrieb einer Regelschule vergleichbar ist. In den Musikschulen liegt der Anteil von Einzelunterricht bei rund 85%. Der restliche Unterricht läuft meistens in relativ kleinen Gruppen ab. Aufgrund dieses Umstandes und unter Einhaltung der bereits erprobten Hygienekonzepte, sollte man von einem vergleichsweise geringerem Risiko für alle Beteiligten im Präsenzunterricht ausgehen können. Somit bin ich der Meinung, dass man es gut verantworten kann, den Musikschulunterricht in Regionen mit einem Inzidenzwert unter 50 wieder komplett frei zu geben. Gerade für Kleinkinder und Grundschüler sollte der Präsenzunterricht als Ausgleich für den derzeit extrem schwierigen Homeschooling-Alltag so schnell wie möglich wieder gestattet werden.

Wie schauen derzeit die politischen Signale hinsichtlich der Wiedereröffnung der freien Musikschulen aus?

Leider gibt es bisher keine konkreten politischen Signale hinsichtlich der Wiedereröffnung. Aus dem veröffentlichten Papier der 16 Kulturministerinnen und -minister geht allerdings hervor, dass Musikschulen auf alle Fälle ganz vorne bei den Öffnungen mit dabei sein sollen. In den nächsten Tagen müssten dann die Fahrpläne kommen, wie es ab dem 15. Februar weitergehen wird.

Gibt es aktuell Initiativen seitens des bdfm, um die politischen Vertreter auf den Ernst der Lage der freien Musikschulen aufmerksam zu machen?

Die Verbände rund um Kultur und Musik bündeln ihre Kräfte und arbeiten gemeinsam an sinnvollen Öffnungsperspektiven für den Kulturbetrieb und hoffen so möglichst bald mehr Gehör zu bekommen. Der bdfm ist Mitglied im deutschen Musikrat, dieser steht im direkten Kontakt zu Prof. Monika Grütters (Anm. d. Red. Staatsministerin für Kultur und Medien), die den gesamten kulturellen Bereich verantwortet. Ich denke allen Beteiligten ist der Ernst der Lage, welcher mittlerweile bei allen Kunst- und Kultureinrichtungen besteht, bestens bekannt. Jetzt muss auch endlich auf breiter Front effektiv und umfänglich gehandelt und geholfen werden.

Wie könnte konkrete Hilfe seitens der Politik für die freien Musikschulen aussehen?

An erster Stelle steht natürlich, dass es so schnell wie möglich klare Öffnungsperspektiven für die Musikschulen geben muss, damit diese wieder im Normbereich wirtschaften können und der entstandene Schaden noch begrenzt werden kann. Darüber hinaus wäre es für alle Musikschulen eine große Unterstützung, wenn die Forderung des bdfm nach der steuerlichen Absetzbarkeit von Musikunterrichtsgebühren baldmöglichst Gehör findet und umgesetzt werden würde. Gerade jetzt in Zeiten der Pandemie benötigt die freie Musikschullandschaft schnelle und wirkungsvolle Hilfe, um ihre wertvolle Arbeit weiterhin flächendeckend und professionell anbieten zu können. Zudem erstreben wir die Beteiligung freier Musikschulen an der Planung und Ausführung von Landesprojekten. Wir erarbeiten derzeit in Baden-Württemberg zusammen mit den Ministerien und der Politik wie dies zukünftig aussehen kann. Hier gilt es, die musikalische Ausbildungslandschaft weiter voranzubringen und für kostengünstige Unterrichtsangebote Sorge zu tragen.

Vielen Dank für das informative Gespräch und alles Gute für Sie und Ihre weitere Arbeit!

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Nico Schreiber ist Gitarrist und als Initiator und Schulleiter verantwortlich für das Modern Music Center und das Modern Music Studio in Stuttgart.

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